Jan Vermeers Milchgießerin
von Reinhard von Tümpling


Bild: Vermeer_Küchenmagd.jpg
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Dies Bild war die eigentliche Ausgangssituation. Auffallend ist bei diesem Bild die klare Bildanordnung; das Licht fällt von oben links durch ein kleines Blei verglastes karges Fenster nach rechts unten.

Die Gegenbewegung zum einfallenden Licht wird durch die Frau mit gesenktem Blick, Wams und Schürze und Rock dargestellt.

Die Schau des Betrachters wird klar und ruhig geführt und kommt im Stillleben mit den Brotresten auf dem Tisch zum Stehen.

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Jan Vermeers Milchgießerin

Das Bild mit der dargestellten Handlung ist vereinfacht auf eine stille Sache zurückgeführt, wie wenn sie gleichsam zum Stillstand kommt und die junge Frau lässt Milch in einem dünnen Rinnsal aus dem Krug in ein flacheres und weiteres Gefäß heraus laufen. Das trockene Brot auf dem kleinen blau gedeckten Tischchen soll wohl gerade eingebrockt werden.

Die Bildebene dringt ohne vorherige Aufkärung auf mich ein. Ich muss mir den Abstand, den Bezug und die Grenze erst selbst setzen.

Dies ist der erste Eindruck.


Mehrmals hingesehen verwundert mich dies Bild. Es strahlt eine seltene Ruhe aus, weil es weder zur Mitarbeit aufruft noch Handeln bewirkt; man kann diese junge Frau bestimmt nicht stören in dem, was sie tut. Das Bild schildert eine vollkommen geschlossene Handlung, die kein Hinzutun duldet und nichts wegnehmen lässt.

Im Moment könnte ich diese Frau nicht stören, sie ruht gedankenverloren und konzentriert völlig in dieser Arbeit, die sie zwar unterbrechen könnte, aber sie dann vielleicht nicht mehr so ruhig weiter macht. Diese Frau muss man lassen.

Ich mag dieses Bild. Die Handlung ist nützlich, sie kann mich freundlich ins Bild hinein einladen, und mir sagen, dass ich z.B. den Boden wischen sollte. Die Handlung kann aber auch sagen, dass ich beim Vorbereiten des Mittagessens lieber fern bleiben sollte. Die Frau könnte vielleicht sagen, dass ich dem Herd hinter mir einige Scheite Holz nachlegen solle. Oder ich solle schnell Holzscheite zum Heizen kaufen, denn heute sei gerade Markttag und sie solle ja schließlich kochen.

Ich könnte etwas machen und fange an, genauer hin zu sehen. Die Zwiebeln im geflochtenen Korb an der Wand oben sind schwer und der Korb scheint schon unter der Last verbogen. Eine der Glasscheiben des Fensters sollte ich ersetzen lassen. Die Geldbörse mit dem Haushaltsgeld ist noch voll und rechts unten wartet eine offene Mäusefalle. Vielleicht auch die Wand der Küche frisch kalken lassen.....

Ist der Ofen in der Mitte des Raumes noch heil?

Das Bild fasziniert. Man kann die Dinge auch lassen. Es hält alles in einer Art offener Schwebe...


Dazu das „kleine“ Lexikon:

Vermeer, Jan

eigentlich van der Meer

Jan (Johannes), genannt Vermeer van Delft, niederländischer Maler,

getauft 31. 10. 1632 Delft, begraben 15. 12. 1675 Delft;

Hauptmeister des niederländischen Interieurs; die meisten Werke zeigen bürgerliche Innenräume mit einer oder wenigen Figuren bei alltäglicher Beschäftigung.

Die einzigartige Wirkung seiner Bilder beruht vor allem auf vollkommener Beherrschung der Perspektive, minutiöser Detailschilderung sowie einer harmonisch abgestimmten Farbigkeit. Das Gesamtwerk von ca. 40 Gemälden beinhaltet auch zwei Stadtansichten („Straße in Delft“; „Ansicht von Delft“, beide um 1658), von denen im 19. Jahrhundert eine Neubewertung seiner Malerei ausging. - Weitere Hauptwerke: „Bei der Kupplerin“; „Dame mit Perlenhalsband“; „Briefleserin“; „Mädchen mit Perlenohrgehänge“; „Perlenwägerin“; „Spitzenklöpplerin“; „Allegorie der Malerei“; „Dame am Spinett“.

Werkverzeichnis:

  • Bei der Kupplerin (1656; Dresden, Staatliche Kunstsammlungen)
  • Das schlafende Mädchen (um 1657; New York, Metropolitan Museum)
  • Die Küchenmagd mit dem Milchkrug (um 1658; Amsterdam, Rijksmuseum)
  • Straße in Delft (um 1658; Amsterdam, Rijksmuseum)
  • Soldat und lachendes Mädchen (um 1658/60; New York, Frick Collection)
  • Herr und Dame beim Wein (um 1658/60; Berlin, Gemäldegalerie)
  • Ansicht von Delft (um 1660/61; Den Haag, Mauritshuis)
  • Das Mädchen mit dem Perlenohrring (um 1660-65; Den Haag, Mauritshuis)
  • Die Perlenwägerin (um 1664; Washington, District of Columbia, National Gallery of Art)
  • Die Briefleserin in Blau (um 1662‒64; Amsterdam, Rijksmuseum)
  • Die Malkunst, auch Allegorie der Malerei genannt (um 1665/66; Wien, Kunsthistorisches Museum)
  • Die Spitzenklöpplerin (um 1669/70; Paris, Louvre)
  • Der Liebesbrief (um 1669/70; Amsterdam, Rijksmuseum)
  • Junge Frau am Virginal stehend (um 1670; London, National Gallery)
  • Junge Frau am Virginal sitzend (um 1670/72; London, National Gallery)
  • Allegorie des christlichen Glaubens (um 1672-74; New York, Metropolitan Museum)

Der Gedanke, diese Datei zu gestalten, kam aus der Zeit weit vor dem Dezember 2007. Ich hatte die Arbeit am Menzel und seinem Interieur abgeschlossen und sein „Balkonzimmer“ durchgestaltet.

Es ging dabei im Wesentlichen um die Durchgestaltung der Tiefenwirkung des Raumes an sich, und wenngleich Menzel auch sehr wohl die Zeitachse im Bild der Freiluftmalerei umzusetzen wusste, beschränkte er sich im Balkonzimmer auf den etwas gehobenen Schleier der Intimität, der im Frühling mit einem warmen Wind in seine Stadtwohnung hinein weht. Auch das verwirrende Wechselspiel zwischen tun müssen und sein lassen beherrschte Menzel.

Ich habe das Zimmer-Thema später mit Meike Gieschen aus Berlin noch einmal durchgearbeitet, die mir genau diese Eindrücke vermittelte und der ich dafür dankbar bin und mit der ich auch die Entgrenzung des Raumes andeuten und vorbereiten konnte.


Bild: Tür_8.jpg
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Jan Pieterszoon Sweelinck: Toccata and Psalm XXIII

Sweelinck Onder een Linde Groen Monumenta musica neerlandica

Mein junges Leben hat ein End: J.P. Sweelinck

Sweelinck: Fantasia Chromatica / M.M.Neerlandica

Sweelinck - Malle Sijmen

Mariss plays Malle Sijmen by Jan Pietersz. Sweelinck

Sweelinck Toccata XVI played on a virginal


Ich hatte diesen Vermeer voller Lust als freiwillige Arbeit für ERS übernommen. Sie lag sachlogisch nahe, war sinnvoll und fügte sich in die bekannte Reihe voll ein.

Das Problem waren die jungen Mädchen, die ich als bildnerisches Vorbild anbieten musste. Ich bat also einige, die sich schon recht sicher bewegen konnten und machte eine Fotostrecke, löschte das Umfeld um die Figur und besonders das Gesicht und versuchte die Personen in Geste und Haltung als Datenbank zu versachlichen.

Die Erlaubniszettel der Erziehungsberechtigten zur Verwendung der Schülerarbeiten einer M8-Klasse (HS By) im Schuljahr 2008-2009 liegen real vor.


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: als Tischvorlage angeboten


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: die skizzenhafte Bild-Idee

Bild: Vermeer_8.jpg
: als Klapp-Karton-Ansicht gestaltet, dass auch die Inneneinrichtung der Perspektive zu folgen habe

 


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: die kleine Tafelansicht

 


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: ganz aufgelegt

Bild: Vermeer_12.jpg
: Die konstruierte Tischvorlage unmittelbar beim Schüler, aber mit dem Fluchtpunkt aus methodischen Gründen in der Mitte des Blattes

 


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: Schülerskizzen

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: als heraus fallendes Beispiel

Bild: Vermeer_20.jpg
: ebenso – diese Skizze bedürfte aber einer besonderen Erklärung (*)

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: Schülerbeispiel

 


Bild: Vermeer_31.jpg
: Tischvorlage zum mehr oder minder passenden Einfügen der Figur

Die Ergebnisse:


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Ich war damit aber etwas unzufrieden, weil ein freier nach rechts gewählter oder ein nach oben gewanderter Fluchtpunkt oder ein anderer Raumraster andere Bild-Tendenzen ermöglicht hätte. Ich biete deshalb hier noch andere Perspektiven.


Bild: Vermeer_Blaetter.jpg
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Eine weitere Differenzierung scheint nicht mehr sinnvoll. Die SchülerInnen müssen spätestens bei den Möbeln gelernt haben, welche Teile sie ins Bild nehmen und wie groß sie nun wo hin kommen.


Bild: Tür_Fenster_65.jpg
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Kindlers Malereilexikon zu Vermeer:

Vermeer, Jan (Johannes) (gekürzte Nachbearbeitung)

* 31.10.1632 in Delft, Begraben am 15.12.1675 in Delft

Von den drei Meistern, die heute als die bedeutendsten der holländischen Schule des 17. Jahrhunderts gelten - nämlich Rembrandt, Frans Hals und Vermeer - war Vermeer bei weitem der jüngste. Er wurde 1632 in Delft geboren.

Zu jener Zeit hatte Frans Hals den Höhepunkt seines Ansehens erreicht, und Rembrandt malte genau im Jahr der Geburt Vermeers die „Anatomische Vorlesung des Dr. Tulp“, womit er zur führenden Stellung unter den Amsterdamer Künstlern aufrückte. Als Vermeer 1653 Freimeister in der Lukasgilde seiner Vaterstadt wurde, entwickelten Frans Hals und Rembrandt bereits ihren Altersstil. Mit ihrem späten Schaffen nahmen beide Meister isolierte Positionen ein: Die Bildnisse des Frans Hals sagten dem Publikum nicht mehr zu und Rembrandts Kunst, in die persönlichste Lebenserfahrung eingeströmt war, fand keine Gemeinde.

Das trifft seit etwa der Jahrhundertmitte für die gesamte holländische Historienmalerei zu, die sich mit der Schilderung biblischer, mythologischer, historischer und literarischer Themen befaßte; allein dieser Darstellungskreis zählte damals zur „hohen Kunst“, wohingegen die anderen von holländischen Malern so eifrig betriebenen Fachgebiete wie Bildnis, Genre, Landschaft und Stillleben als untergeordnete Kunstarten galten.

Etwa 1654 muss Die Rast der Diana als Historienbild entstanden sein. Schon aus der Wahl seiner Vorbilder wird deutlich, daß Vermeers Neigungen keinesfalls in die Richtung dramatisch bewegter Handlung wiesen. Er bemühte sich vielmehr um die in sich ruhende, große, wohlausgewogene Form.

Die Farbe steigerte Vermeer zu einer Schönheit venezianischen Meister. Da ästhetische Gesichtspunkte das Interesse am Inhaltlichen überwogen, konnte der Künstler es wagen, das Antlitz der Hauptgestalt in den Schatten zu rücken. Vermeers mythologische Gestalten nehmen das das Aussehen schlichter Bürgermädchen an. Auffallend ist ebenfalls die eingehende Aufmerksamkeit, die dem stilllebenartigen Beiwerk zugewandt wurde. Einen an sich trivialen Vorgang wie z.B. das Genremotiv Bei der Kupplerin (Dresden) steigerte er 1656 ins Große. Die Szene wird durch eine Balustrade, über die ein wunderbar gemalter Teppich gebreitet ist, vom Beschauer distanziert.

Diesem Motiv kommt außerdem eine sammelnde und festigende Funktion im Bildgefüge zu. Formen und Farben steigern sich gegenseitig zu so hinreißender Schönheit, daß einige Unstimmigkeiten der perspektivischen Konstruktion darüber übersehen werden können.

Vermeer entgingen diese kleinen Mängel in der Gestaltung der Perspektive nicht. Seither hielt er die Beachtung der Perspektive für nötig und wohl deshalb wandte er sich der Darstellung des Innenraumes zu.

Derartige Anregungen vom Rembrandtschüler Samuel van Hoogstraten wirkten sich im Verlauf der 50er Jahre auf eine Reihe von Malern aus: Mittelbar veranlaßten sie Pieter de Hooch in Delft, die Schilderung von Interieurs mit perspektivischen Durchblicken zu einer Spezialität zu entwickeln.

Solche Werke kannte Vermeer zweifellos, als er kurz nach dem Dresdner Bild das Interieur mit Schlafender junger Frau (New York) schuf. Das große Bildformat, das er hier abermals wählte, wirkt in Anbetracht des Themas ungewöhnlich und deutet auf ein Streben, das die Zielsetzungen gleichzeitiger holländischer Genremaler weit übertrifft.

Nicht zufällig wurde sie in unmittelbare Nachbarschaft zu einem prächtig gemalten Stilleben gerückt.

Da der Maler bei seiner Arbeit offenbar ganz dicht vor dem abgebildeten Tisch stand, ergab es sich von selbst, daß er alle Gegenstände stark von oben sah; der Künstler erfaßte den Tisch aus einem anderen Gesichtswinkel als der Betrachter, der das Bild ungefähr in Augenhöhe vor sich hat.

Um einen festen Zusammenhalt im Bild zu erreichen, trat eine Vereinfachung des Raumausschnittes ein. Kein Durchblick wird gezeigt, sondern nur eine glatte, den Hintergrund abschließende Wand. Der Eindruck räumlicher Weite wird weniger durch Tiefe als vielmehr durch Höhe vermittelt. Dadurch erscheint die Figur verhältnismäßig klein; doch kommt ihr durch die zentrale Stellung eine alle Bildteile sammelnde Funktion zu.

Die anmutige Mädchengestalt wäre wohl kaum denkbar ohne jene Briefleserinnen, die ter Borch einige Jahre vorher gemalt hatte. An ihn vor allem knüpfte Vermeer mit seiner Menschendarstellung an. Auch Vermeers Mädchengestalt meidet jeglichen Kontakt mit dem Betrachter. Nichts stört die Intimität ihres stillen für-sich-seins.

Für ter Borch blieb aber die Menschendarstellung die Hauptsache; deshalb hatte er den Raumgrund stets in Halbschatten gehüllt; dadurch wurden die Figuren deutlich hervorgehoben. Nie zeigte er in seinen Interieurs eine Lichtquelle, was eine Ablenkung von den Figuren bedeutet hätte. Dagegen pflegten die Meister der Leidener Schule gerne eine Lichtquelle in ihren Interieurs darzustellen.

Vermeer, für den die Innenraumdarstellung wesentliche Bedeutung annahm, zeigte in seinem Bild ein Fenster. Er vermied jedoch allzu starke Hell- Dunkel-Kontraste. Die Fensteröffnung ist so wiedergegeben, daß weder Himmel noch Freilicht im Bilde sichtbar werden. Außerdem ist das Licht gedämpft wie an einem späten Sommerabend. Als wirkungsvoller Farbakzent stellt der grüne Vorhang rechts ein vollkommenes Gleichgewicht im Bildaufbau her.

Zugleich wird damit die Figur durch straffe Formen gerahmt und vom Betrachter distanziert. Das Motiv des Vorhanges verknüpft die Darstellung mit der Überlieferung des Augentäuschungs-Stilllebens. Aber Vermeer gestaltete dieses Kunstmittel in leicht paradoxer Weise. Anstatt die Szene in handgreifliche Nähe des Betrachters zu rücken, läßt er Zweifel am Wirklichkeitsgehalt der Darstellung wach werden und zugleich die Mädchengestalt in eine unüberbrückbare Distanz entgleiten.

Der Illusion räumlicher Tiefe dienen sehr gewagte perspektivische Verkürzungen.

Die Figuren füllen einen größeren Teil des Raumausschnittes als bisher und haben daher gesteigerte Bedeutung. Der Innenraum ist derselbe wie bei der Briefleserin. Doch diesmal wird mehr vom Fenster gezeigt, durch welches das Licht eines sonnigen Tages eindringt und den ganzen Raum mit Helligkeit erfüllt. Durch gleichmäßige Verteilung des Lichtes wurde eine Aufhellung des Grundes bewirkt.

Hiermit ist auch die Gefahr vermieden, durch eine im Bild sichtbare Lichtquelle zu große ablenkende Hell-Dunkel-Kontraste entstehen zu lassen. Die Figuren behaupten sich nunmehr in vorwiegend dunklerer Farbigkeit gegen den lichten Grund. Die Verteilung von Hell und Dunkel erfuhr eine Umkehrung. Dieser wichtige Schritt war bereits um die Jahrhundertmitte von dem in Delft tätigen Rembrandt- Schüler Carel Fabritius vorbereitet worden; er beeinflußte Pieter de Hooch, der spätestens seit 1655 lichte Gründe für seine Innenraumdarstellungen anwandte. Seit etwa 1657 begegneten sich Vermeer und de Hooch in gleicher Aufgabenstellung. Vermeer bewies dabei eine größere Kraft, das Raum- und Körpervolumen zur Anschauung zu bringen; dies erreichte er durch die Wirkung des Lichtes, die bei ihm auch der Farbe ein ganz eigenes Leben mitteilte.

Der Ausarbeitung der Farbe galt Vermeers besondere Aufmerksamkeit bei dem Bild Die Küchenmagd (Amsterdam). Kühlem Licht entsprechen hier kühle Farben. Nirgends werden sie vom Schatten absorbiert. Vermeer verfährt demnach in völligem Gegensatz zu Rembrandt, der eine fast farblose Dunkelheit hinnahm, um durch starke Hell-Dunkel-Kontraste die Wirkung von scheinendem Licht zu erzwingen.

Farbe fiel in Rembrandts Bildern nur mit den am hellsten Partien zusammen und verebbte dann im Schatten, um schließlich vom Dunkel völlig aufgesogen zu werden.

Bei Vermeer bleiben selbst die dunkelsten Stellen farbig. Im mittleren Licht erreicht die Farbe ihre größte Intensität. An den hellsten Stellen löst sie sich in Weiß auf. Daraus erklärt sich die technische Eigentümlichkeit der Anwendung kleiner Tupfen, in denen das Licht reflektiert wird. Dieses Pointillé fällt bei der Küchenmagd in den Glanzlichtern besonders auf. In späteren Werken wurden die Tupfen meist etwas mehr verwischt und die Partien hellsten Lichtes erweitert.

Seitdem Vermeer so weit vorgedrungen war, die Abstufung von Helligkeitswerten mit der Farbe zusammen zu sehen, lernte er, in der Natur auch dort Farben zu beobachten, wo andere sie ignoriert hatten. In dem Interieurbild Herr und Dame am Spinett gleitet über die weißen Wände in den schattigen Partien ein Schimmer von Grün, Gelb und Blau. Dagegen vermied Vermeer die Verwendung von Schwarz für die Wiedergabe des Schattens weitgehend.

So kam es hier schon zu optischen Entdeckungen, die im allgemeinen noch zwei Jahrhunderte lang ungenutzt bleiben sollten. Erst die Impressionisten gelangten durch Beobachtung des Lichtes zu ähnlichen Feststellungen wie Vermeer - erst zu ihrer Zeit fand seine Kunst volle Würdigung.

Das empirische Verfahren, das Vermeer sich zu eigen machte, legte ihm nahe, sich der Camera obscura als Hilfsmittel zu bedienen. Bestimmte Tendenzen seiner Darstellungsweise deuten jedenfalls mit einiger Wahrscheinlichkeit auf ihren Gebrauch. So berief sich der Künstler in seiner Definition der Form weit mehr auf Farb- und Tonwerte als auf zeichnerische Umschreibung. Bei der Camera obscura bringt die Projektion eines Wirklichkeitsausschnittes auf ein ölgetränktes Papier einen ähnlichen, alle Konturen auslöschenden Effekt hervor. Außerdem bewirkt die Linse eine etwas übertriebene Zusammenziehung perspektivischer Verkürzungen, wie sie ebenfalls bei Vermeer anzutreffen ist. Überraschende Wirkungen dieser Art waren ihm ein willkommenes Mittel zur Erzeugung gesteigerter Raumillusion. Die Anordnung der Gegenstände im Raum läßt Verkürzungen entstehen. Dabei werden die Figuren weit in die Raumtiefe gerückt; sie erscheinen in großem Abstand, verhalten in einer eigentümlichen, in der Schwebe verharrenden Spannung.

Ein ähnliches Thema griff Vermeer ein wenig später mit dem Konzert (Boston) noch einmal auf. In diesem Bild wird die Fensterwand, die sonst dem Auge einen festen Anhalt für die Bemessung des Tiefenabstandes gab, fortgelassen. Das Gesichtsfeld ist in einen weniger hell erleuchteten Teil des Raums verschoben. Licht, Farbe und Ton erscheinen hierdurch gedämpft. Alles trägt dazu bei, Assoziationen mit den Klängen leiser Musik aufzurufen: Innerer Gehalt und äußere Wirklichkeit ergänzen sich in gegenseitiger Harmonie.

Vermeers Arbeitsweise war damals keineswegs allgemein üblich. Sie entsprach am ehesten den Gepflogenheiten mancher Stilllebenmaler, die gern ihre Gegenstände auf einem Tisch in der Nähe eines Fensters anordneten, um dann zu malen, was sie vor Augen hatten. Die Genremaler beschränkten sich in ihrer unmittelbaren Wirklichkeitswiedergabe in der Regel auf das Studium von Einzelheiten, während sie ihre Kompositionen meist aus freier Phantasie zusammensetzten.

Vermeer, der sich von diesen herkömmlichen Gepflogenheiten weitgehend löste, begnügte sich keineswegs mit der Wiedergabe des Innenraumes, sondern dehnte das Gebiet seiner Erfahrungen auch auf die Freilichtszenerie aus. Unter freiem Himmel zu malen, wurde allerdings in weiterem Umfang erst möglich, seitdem Tubenfarben bekannt waren und in leicht transportierbaren Malkästen vom Künstler ins Freie mitgenommen werden konnten. Im 17. Jahrhundert begnügten sich die Landschaftsmaler meist damit, in der freien Natur nur Zeichnungen und Studien anzufertigen, wonach sie ihre Bilder in der Werkstatt ausführten. Es ist bezeichnend, daß Vermeer Mittel und Wege fand, sich z.B. der Tageszeit im Bild zu entziehen.

Für seine beiden Ansichten von Delft wählte er jeweils einen Standort bei einem Fenster. Die frühere Arbeit, Die kleine Straße, entstand sicherlich noch um 1658 und zeigt den Ausblick auf eine Giebelwand und einen kleinen Durchgang zur Seite. Aus der vorgefundenen Situation ergab sich eine klare Aufteilung von Fläche und Tiefendurchblick. Die harmonische Abwägung weniger Diagonalen gegen vorherrschende Horizontale und Vertikale trägt zu einer Bildwirkung von großer Ruhe bei. Sie entspricht der Stille der Bildstimmung.

In der um 1660 anzusetzenden Ansicht von Delft (Den Haag) erweitert sich die Szenerie ins Monumentale. Der erhöhte Standpunkt, den der Künstler im ersten Stockwerk eines nachweislich an dieser Stelle vor den Toren der Stadt gelegenen Hauses wählte, bewirkt eine Distanzierung des Vordergrundes. Dadurch erscheinen die Staffagefiguren verhältnismäßig klein und ordnen sich der großen Ruhe und Getragenheit des Gesamteindruckes unter. Zur Belebung trägt am stärksten der Himmel mit seinen ziehenden Wolken bei. Die Bewegung des Lichtes ruft einen Wechsel beschatteter und von der Sonne beschienener Zonen hervor, auf dem die überaus starke Raumwirkung des Bildes beruht. Nachdem Vermeer mit diesen beiden Werken auf neue Möglichkeiten der Wirklichkeitsschilderung gewiesen hatte, zog er sich wieder auf das Gebiet der Interieurdarstellung zurück.

Aus den 60er Jahren sind verhältnismäßig viele Arbeiten des Meisters bekannt. Dabei scheint er aber doch nie mehr als drei bis höchstens vier Bilder jährlich gemalt zu haben.

Dieser Ruhe, die den Ausdruck des Werkes bestimmt, hätte es widersprochen, die Bewegungen der ausführenden Hand durch den Pinselstrich zu verraten. Hieraus ergab sich ein langsamer Arbeitsprozeß. Das Gesamtwerk blieb deshalb klein. Deshalb war es für den Meister trotz der hohen Preise, die er zweifellos für seine Werke erzielte, nicht leicht, den Unterhalt einer großen Familie zu bestreiten. Mit elf Kindern muß es in seinem Haushalt recht lebhaft zugegangen sein. Doch hiervon ist in seinem Werk nichts zu spüren. Kinder kommen auf Vermeers Innenansichten nicht vor. Kein Selbstbildnis des Meisters ist bekannt.

In der Ansicht von Delft hatte die Einwirkung des Lichtes eine Lichtintensität zur Folge gehabt, die größer als bei den meisten vorhergehenden Werken war. Das wurde für einige kurz danach entstandene Werke bedeutsam. Auf dem Interieurbild Herr und Dame beim Wein (Berlin) hat das Fenster mit dem durch bemalte Scheiben fallenden Licht kaum geringere Bedeutung als die Figuren. Dasselbe Fenster wurde im vorgerückten Verlauf des Jahrzehntes nochmals auf dem Bild Wein trinkendes Mädchen mit zwei Kavalieren wiedergegeben.

Der Bildausschnitt wurde hier so gewählt, daß die Verbindung des Fensters mit der Wand unsichtbar bleibt. Durch das abrupte Hineinragen der geöffneten Fensterhälfte in das Bild erscheinen die Grenzen zwischen dem wirklichen Raum, in dem der Betrachter steht, und dem illusionären Raum des Kunstwerkes aufgehoben; dadurch wird die Illusion erheblich gesteigert. Im gleichen Sinn ist das Figurenmotiv gestaltet, indem das junge Mädchen sich unmittelbar dem Zuschauer zuwendet. Der Blick bleibt jedoch in einer Mischung von Freude und Verlegenheit ausweichend. Die nicht eindeutige Festlegung des Ausdruckes ist kennzeichnend für den Künstler, der immer dazu neigte, Abstand um seine Gestalten zu schaffen.

Die Herstellung eines direkten Kontaktes zwischen Modell und Betrachter enthielt daher für ihn eine besonders herausfordernde Problematik. Diese war Vermeer seit der bereits um 1660 entstandenen Musikstunde (New York) unabweisbar bewußt und ließ ihn nicht mehr los. Ihr galt vor allem die Ausführung einiger Studienköpfe.

So gelang eine klassische Leistung in dem Bild Das Mädchen mit der Perle. Das Mädchen blickt auf den Beschauer und wendet ihm gleichzeitig die Schulter zu. Der Maler versuchte nicht, uns eine Deutung ihres Wesens aufzudrängen. In losgelöster Anschauung übermittelt er eine rein visuelle Schönheit.

In der Farbgebung wird bei Vermeer im Lauf der 60er Jahre eine Zusammenziehung auf einen Akkord weniger, meist kühler Farben zur Regel. Zugleich kann eine Vereinfachung des Bildaufbaues eintreten, wie etwa bei der Briefleserin. Schlicht sind Gestalt und Gegenstände in parallel zur Bildfläche angeordnete Schichten gerückt.

Die Versöhnung mit einer darstellerischen Überlieferung, von der Vermeer sich im Verlauf seiner Entwicklung gelöst hatte, war zweifellos das Ziel, das er sich stellte, als er um die Mitte des Jahrzehntes eines seiner größten und bedeutendsten Werke ausführte: Die Allegorie der Malerei. Dargestellt ist die Werkstatt des Meisters. Wirkungen großer Lichtintensität sind mit einem traditionellen Hell-Dunkel kombiniert. Der dämmrig gehaltene Vordergrund ist von der im Licht schimmernden Tiefe durch einen Vorhang getrennt, der den Raum in zwei verschieden beleuchtete Zonen aufteilt.

Das Mittel des Kontrastes hat demnach auch hier wesentlichen Anteil an der Erzeugung von Tiefenillusion. Gleichzeitig kehren sehr gewagte Verkürzungen, wie sie in früheren Werken des Meisters häufig dem gleichen Zweck dienten, zurück - doch gemildert durch tiefe Schatten, die alle nahen Gegenstände umhüllen. Fern und in vollem Licht steht des Malers Modell. Sie soll den Ruhm des Malers verkünden. Doch da Vermeers Ideal darin bestand, Illusion der Wirklichkeit hervorzubringen, bleibt auch diese Gestalt ein wirkliches Wesen - und als solches ebenso wahr und zugleich unergründlich wie das Mädchen mit der Perle.

Nach diesem Werk scheint das Bewußtsein, seine Aufgabe so gut gemeistert zu haben, der Schaffensfreude des Künstlers überaus abträglich geworden zu sein; denn trotz aller Vollendung läßt das unter dem Namen Der Liebesbrief (Amsterdam) bekannte Bild, in dem die formalen Grundgedanken der Allegorie der Malerei wiederholt wurden, den Betrachter doch kühl. Allerdings gehören der gleichen Zeit noch vereinzelte Stücke an, die auf volle innere Teilnahme des Künstlers schließen lassen.

Eines der schönsten späteren Werke ist die Junge Frau mit Perlenschnur (Berlin). Zwischen Schwarz und Weiß sind die farbigen Kontraste auf Dunkelblau und ein mattes Gelb abgestimmt; nur ein Tupfen Hellrot belebt dieses Schema. Die Stufungen des Schattens enthalten zwar stellenweise ein wenig Blau und ein wenig Gelb - doch daneben auch viel farbloses Grau. Diese Beschränkung erstaunt, nachdem Vermeer zuvor so viele durch Licht und Schatten hervorgebrachte Farbnuancen beobachtet hatte. Sie wird jedoch verständlich durch einen Passus in den Schriften Hoogstratens; daraus geht hervor, daß sich die Maler bereits allgemein der Einwirkung des Lichtes auf die Farbe bewußt waren.

Das Licht auf dem Bild Frau mit Perlenschnur erhielt einen ebenmäßigen milchigen Ton; dieses von einer weißen Wand reflektierte Licht füllt die Bildmitte, die nahezu symmetrisch von straffen Formen eingefaßt wird. Der leere Raum erscheint an dieser Stelle gleichsam als magnetisches Feld, das den Blick der jungen Frau zum Abbild im Spiegel hinzieht.

Häufig entsteht bei den späteren Werken Vermeers der Eindruck, als ob sich ein Dialog zwischen Mensch und Licht abspiele. Wo dem Licht im Bildinhalt eine solche Funktion zukam, konnte er für die Innenraumgestaltung gelegentlich sogar wieder auf Dou zurückgreifen. Nicht zufällig ist das auf den zwei Gemälden Gelehrte bei der Arbeit, in Frankfurt und Paris, der Fall. Sie gehören dem Ende der 60er Jahre an.

Das sehr kleine Format verbindet diese Werke ebenso wie das Thema mit ähnlichen Schilderungen Dous, der zu seinen Lebzeiten der berühmteste der holländischen Genremaler war. jedoch in einem wesentlichen Punkt unterscheiden sich die Arbeiten der beiden Meister: Dou bemühte sich stets, alle Formen bis ins kleinste Detail zeichnerisch zu erläutern, dagegen verhielt Vermeer sich allen grafischen Konvention gegenüber gleichgültiger.

Die Seiten eines geöffneten Buches, über das er seine Gelehrten sich beugen läßt, würde Dou auf eine Weise gefüllt haben, daß der Betrachter fast in der Lage wäre, sie zu lesen. Aber bei Vermeer bleiben sie leer, um das Licht zu reflektieren.

Die letzten Schaffensjahre des Meisters lassen keinen Wandel der Gestaltungsweise mehr erkennen.

Eines der schönsten Werke ist die erst nach 1670 entstandene Briefschreiberin (Blessington). Bei einer höchst komplizierten Bildanlage erreichte er eine äußerst schlichte Wirkung. In drei verschiedenen Stärkegraden verteilt sich das Licht über den Bildraum. Von den beiden Figuren geht jede eigenen Gedanken nach. Die Szene ist aber in eine Form von fast geometrischer Vereinfachung gebannt, ein auf goldenes Grau abgestimmter Gesamtton bewirkt Einheit: beides trägt zu dem Eindruck tiefer Ruhe bei. Die Stille des Innenraumes atmet einen Frieden, den der Mensch in seinem Innern nicht kennt.

Nach dieser Harmonie greifen wollen heißt, die Bedrängnisse des eigenen Daseins vergessen.

Vermeer erfuhr in seinen späteren Jahren vielfältige Not. Da die Einkünfte aus seinem künstlerischen Schaffen nie ausreichten, um eine vielköpfige Familie zu unterhalten, hatte er, wie viele andere holländische Maler, nebenher einen Kunsthandel betrieben.

Als jedoch 1672 Krieg ausbrach, musste er mit großen Verlusten verkaufen. Bald danach wurde er krank und unfähig zu arbeiten.

Als er 1675 im Alter von 43 Jahren starb, hinterließ er Schulden, die erst viele Jahre später von seiner Witwe abgetragen werden konnten.

Das Bedürfnis, überpersönlichen, universellen Inhalten Form und Ausdruck zu geben, so wie es Künstler früherer Zeiten vermocht hatten, blieb offenbar immer in ihm lebendig. Diese Erscheinung verrät, dass sein ganzes Schaffen eine Unterströmung von Resignation durchzog. Immer war hinter der Wirklichkeit, die in Reichweite vor seinen Augen lag, ein darüber hinausweisendes Jenseitiges wirksam geblieben. Er widmete sich den Dingen der sichtbaen Welt mit unerreichter Poesie und schuf damit stets einen gelungenen Kompromiss.

Er verband seine Allegorie mit der Wiedergabe eines ganz alltäglichen Innenraumes; doch um die Gestalt, die den Glauben personifiziert, in makellosem Weiß erscheinen zu lassen, versteckte er die Lichtquelle. Ein Spiegel in Kugelgestalt hängt von der Decke und spiegelt das Zimmer mit seinen Fenstern - aber in der symbolischen Bildsprache jener Zeit bedeutet er die Welt mit dem Licht, das von draußen kommt und nicht aus ihr selbst.


Jan Vermeer stand sehr wohl unter Konkurrenzdruck.

Meister und Meisterwerkstätten wie z.B. Rembrandt ( 15.7.1606- 4.10.1669) richteten sich früher wie Vermeer ein und bestimmten den Kunstmarkt.

Man sollte diese Datei lesen, weil sie nützliche Aussagen zum Kunstbetrieb und zu den Zeitumständen macht.

Vermeers Zeitgenosse Jan Steen malt 1661 Das Tanzpaar


Linksammlung:

ein Spaziergang durch Delft....

Wikipedia zum Umfeld:

Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird Vermeer die Laterna magica gekanmt haben. Die Laterna Magica wurde Mitte des 17. Jahrhunderts erfunden, wahrscheinlich im Jahr 1656 von dem niederländischen Physiker Christian Huygens (1629-1695), der auch verbesserte Linsen mit Randschärfenausgleich für die camera obscura schliff.

Ich halte den Umstand für sehr wichtig, gezeichnete Bilder auf Gläsern projizieren zu können, sowie auch deren abstraktes Verständnis selbst, denn Vermeer benutzte die Vorhänge nicht nur zum Verhüllen des direkten Fensterlichtes, sondern auch als „Ebene“ des Zugangs im zu durchgehenden Bild, ähnlich wie später in der deutschen Romantik der Landschaftsbilder, die man zu „durchwandern“ hat.

Nach etlichem Abwägen wird Jan Vermeer eine tragbare camera obscura als Hilfsmittel benutzt haben, ebenso wie z.B. auch Canaletto.

Die wahrscheinliche eigentliche künstlerische Leistung bestand also im wesentlichen aus der kompositorischen Montage von nachgezeichneten Einzelbildern der camera obscura und deren Aneinanderfügen zur der ganzheitlichen Vorzeichnung vor dem Objekt mit allen Verzerrungen, hinzu gefügten und weg gelassenen Bildteilen wie Versatzstücken.

Hinzu kam eine Malweise und Farbauftagstechnik, die, wenn die Sachaussagen oben stimmen, Vermeer als Vorläufer des Pointillismus und des Impressionismus zu beschreiben liessen.



Sinnverwandt im Umfeld z.B. youtube:


Bei der Durchsicht seiner Bilder fielen mir Musikinstrumente auf, die nicht nur als Barockdevotionale verstanden worden waren: Laute, Flöte, Cello, die Posaune, das Spinett und das Cembalo.

Auffallend schien mir auch die aufgemalte barocke Lust-Landschaft (der Vorläufer der „idealischen“ Landschaft) auf der Innenseite des Virginals. Das Ziel der „Hausmusik in Gesellschaften“ lag dem voraus auswählenden Jan Vermeer also nahe, und nicht nur als Sinnverdoppelung.


Bild: Vermeer_Virginal.jpg
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Zur weiteren Rezeptionsgeschichte für den zeitlosen Jan Vermeer gibt es u.a. seit 2004 einen sehr guten Film, den ich als Leihgabe durchsehen konnte.

Vorausgeschickt sei aber, dass in einer Szene des englisch-amerikanischen Films die beiden Titelhelden mit einer camera obscura gezeigt werden, was zwar die geschichtliche Wahrscheinlichkeit betont, aber sonst eher mit den szenischen Einweihungsgebräuchen des Films zu tun hat.

„Das Mädchen mit den Perlenohrringen“, Cine Collection, Condorde Home Entertainment GmbH, Rosenheimer Str. 143b, 81671München, 2 DVD’s.
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Tracy Chevalier. Als Taschenbuch bei List erschienen. ISBN: 354860434X

Der Film ist ein sinnlicher Genuss.

Es wird gezoomt, weite Ebenen bis hinunter zum schmutzigen Platz werden gezeigt, Perspektiven von oben vom Kamera-Kran geschwenkt bis auf die kleinräumige enge bürgerliche Ebene eines jungen Mädchens Griet, das die Mutter und den blinden und kranken Vater im dunklen Heim verlassen muss, um als Dienstmagd Wohnung und Arbeit, Sicherheit und Geborgenheit zu bekommen.

Der Film weist dem recht klugen und langsam zur Frau heranwachsende Mädchen die Rolle einer Entdeckerin zu, die schrittweise und szenisch geschickt neben der Hausarbeit zusammen mit einer erfahrenen Dienstmagd in einem großbürgerlichen Haus bis zum Umgang mit dem erkennbaren Kunstbetrieb Hollands geführt wird. Recht früh am Anfang des Films muss sie mit ansehen, wie die bankrotten Nachbarn Vermeers ihr Haus verlassen müssen und sie kann so leider ein zweites Mal sehen, wie bedroht der Wohlstand sein kann.

Neben der Hauptdarstellerin sind der Meister Vermeer und seine hochschwangere Ehefrau zu sehen, sowie die dominierende Stiefmutter und die 7 Kinder des Ehepaares Vermeer. Der Alltag in diesem Haus wird sinnenfroh bis derb nachgefahren und die kleinräumige Enge vom Keller bis zum Hinterhof, Dachboden, Gänsen und Hühnern, erscheint anschaulich bis hin zu den etwas starren Tauben.


Bild: Vermeer_Film_1.jpg
: beim Öffnen der Fenster


Bild: Vermeer_Film_2.jpg
: das Atelier im Licht

Als im kalten Winter ein achtes Kind geboren wird, gewinnt die Handlung des Films zunehmend an konzentrierter erzählerischer und dramatischer Dichte. Die Heldin bringt dem überschwenglichen barocken Kunsthändler ein Brieflein der Stiefmutter, in dem sie den Kunsthändler zu einem Bankett anlässlich der Geburt des achten Kindes und gleichzeitigen Bild-Eröffnung einlädt. Der Meister hatte eine Auftragsarbeit fertig gestellt.


Bild: Vermeer_Perlenhalsband.jpg
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Weil der reiche Kunsthändler weiß, wie sehr die Vermeers von ihm abhängig sind, kann er sich für seine eigene Ehefrau beschämend genug erlauben, sich recht drastisch daneben zu benehmen.

Vermeers Schwiegermutter weiss allzu gut, wie dringend sie auf das Geld angewiesen sind und der Kunsthändler schlägt eine weitere sinnenfrohe Auftragsarbeit vor. Eines zufälligen Tages sieht Vermeers Ehefrau, wie der Kunsthändler sich fast an der Heldin vergreift und ruft sie Gesicht wahrend und herrisch zurück.

Der Stiefmutter ist dies nicht verborgen geblieben.

Es kommt zur erwünschten aber viel zu hastigen aber leichten Auftragsarbeit, der Meister erarbeitet sich das Gesicht der Heldin malend schrittweise über das Öffnen der Haarhaube bis hin zur blauen Verkleidung des schönen gelockten Haupthaares und im stillen Zusammenspiel mit der Stiefmutter bekommt die Heldin für die Maltage, als die Ehefrau abwesend ist, zwei riesige Perlenohrringe geliehen.

Damit schuf Vermeer eine eindeutige symbolische Aussage.



Bild: Vermeer_Perlenohrring.jpg
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Und besiegelte so das heran nahende weitere Geschehen.

Nachtrag im November 2009:

Ich bin meiner treuen Freundin ERS für diesen geschenkten "Vermeer" anlässlich eines New York- Besuches sehr dankbar.

An dieser Datei arbeitete eine sehr gute Freundin mit. Ich war darüber sehr erfreut.
Reinhard von Tümpling, nach Weihnachten 2008