Mein Umgang mit Edward Munch

von Reinhard von Tümpling

Ich habe den geschilderten Unterricht mit Edvard Munchs "Der Schrei" 1893) als exemplarischem Werk im Schuljahr 2004 - 2005 in einer Regelklasse der 9. Jahrgangsstufe gehalten. Zu den hier veröffentlichten Schülerarbeiten liegen die Erlaubnisscheine der Erziehungsberechtigten vor.

Methodisch habe ich Bezug genommen auf den Unterricht meiner Kollegin
www.kunstlinks.de/material/wuttke/munch/

Als primäre Vorlage im Unterricht diente ein gekauftes Plakat.


Bild: munch_3.jpg: das Plakat (aus Lizenzgründen)


Bild: munch_1.jpg: die Schwarz-Weiß-Kopiervorlage


Bild: munch_2.jpg: die OH - Folie in Farbe
(Quelle: Werner Timm: Edvard Munch. Henschelverlag. Kunst und Gesellschaft Berlin. 1976)
Vgl.: Folienordner des Wolf-Unterrichtswerks (ISBN: 3-523-29968-3) die Folie mit Munchs "Schrei".

Mit Google durchgesehen:

http://web.sbu.edu/history/eeckert/Clare%20103:
%20Foundations%20of%20the%20Western%20World/Munch,
%20Edvard%20The%20Scream%201893.jpg

der "Schrei", in Farbe, dicht gepixelter

http://www.alt.hist.no/adm/studier/eksamen/tidligere_eksamensoppgaver/Eksamen%201998-2000/forming/FO310V2000/fo310-v2000.htm

http://www.uni-leipzig.de/ru/bilder/angst/
der Schrei in Schwarz-Weiß, deutsch

http://www.edvard-munch.com/Paintings/posters/danceoflife_p.jpg
der Tanz des Lebens

http://www.edvard-munch.com/Paintings/posters/madonna_p.jpg
die Madonna

http://anxiety.psy.ohio-state.edu/scream.jpg
der Schrei, aber rein Schwarz-Weiß


http://www.richard-dehmel.de/rdehmel/zeitgenossen/munch.html
ein einfühlsamer Lebenslauf...

http://www.google.de/search?q=edvard+munch&hl=de&lr=lang_de&start=30&sa=N
ein differenzierter Aufsatz zur Familiengeschichte Munchs aus sehr stiller Sicht


Aktiv benutzte Literatur und durchgesehene Bilder:


Edvard Munch, Bilder aus Norwegen, Hatje Cantz, ISBN 3-7757-1445-6, 29,80 Euro. Das Buch schildert sein Werk eher aus der zweiten Lebenshälfte und ich empfehle es gerade deshalb. Auffällig war der beobachtbare skizzenhafte bis leichte Pinselstrich...

Literatur:


Geving Johannes, Paradies Liane: Unterrichts-Einstiege, Ein Studien- und Praxisbuch, Cornelsen Scriptor, 1996

Lange Iris: Kunst praktisch verstehen, Eine handlungsorientierte Kunstgeschichte, das frühe 20. Jahrhundert, Bertelsmann-Universal'98 Lexikon. Kopenhagen, 1997.


Meyer, Hilbert: UnterrichtsMethoden II: Praxisband. Cornelsen Scriptor. Frankfurt am Main, 1987.


Reichling, Ursula; Wolters, Dorothe: Hallo, wie geht es dir? Gefühle ausdrücken lernen. Verlag an der Ruhr. Mühlheim an der Ruhr, 1994.

 

 

Zum Speichern von Bildern und Schablonen:
Internet Explorer: rechter Mausklick auf die Abbildung - "Ziel speichern unter.." wählen.
Netscape: rechter Mausklick auf die Abbildung - "Verknüpfung speichern unter..." wählen.

Opera: rechter Mausklick auf die Abbildung - "Link speichern unter..." wählen.

 


Bild: munch_4.jpg:
nach dem Durchlichtverfahren zeichnet ein
Schüler die Folie nach.


Bild: munch_5.gif:
die Schwarz-Weiß-Strichzeichnung von der Folie ergibt das Arbeitsblatt


Bild: munch_6.jpg:
die Tafelanschrift zur Erarbeitung und Klärung grundlegender Gefühle


Bild: munch_7.jpg:
einige "Sprechblasen"-Munchs

Anmerkung:

Die Ergebnisse der Sprechblasen zeigten, dass die Schüler die Grundgefühle in einer grafischer Form umsetzen können.

Auswahl der sprachlichen Comic-Ergebnisse (letzte Nennung der Betroffene):

Ich hasse dich, hau' endlich ab - Aber wieso denn - Oh nein
Was für ein Penner - schau dir den an - ach du Sch.!
Hau ab, du nervst - Geh' doch selber, du Penner - Oh mein Gott
Was hat der schon wieder - Man sollte ihm helfen. Er tut mir langsam leid - Ahh! Lasst mich endlich in Ruhe, ich habe euch nichts getan.
Hey, du kleiner Knirps - ja, du kleiner Streber - Ahh! Hilfe
die schon wieder. Hoffentlich schlagen die mich nicht wieder
Hau ab - geh weg - Nein. Bitte nicht


Die bildnerischen Ergebnisse:


Bild: munch_8.jpg:
ein auffallend guter Munch, voll glatter bewegter Linien

Bild: munch_9.jpg:
ebenso, wegen der ähnlichen glatten Farbigkeit

Bild: munch10.jpg:
zwei gelungene Munchs

Bild: munch11.jpg:
ebenso, die Schüler variierten von sich aus die Größe der Meeresbucht zum See

Weil die Schüler oft unterschiedlich schnell gearbeitet haben und manche die Arbeit mit heim nehmen müssen, blieb noch zum Schluss etwas Zeit übrig.
Deshalb habe ich abschließend noch einen Transfer zum Gefühl wiederholt. Es ging um das Äußern des Grundgefühls, welches in den vorgelegten Bildern zum Ausdruck kommt


Bild: munch12.jpg: zwei laminierte Bildkarten: "Eifersucht"


Bild: munch13.jpg: eine laminierte Bildkarte


Bild: munch14.jpg:
diese drei Munchs und andere gefühlshinweisende Bilder auf einem Tisch ausgelegt,
zu einem Kreis zusammen gekommen, recht spontan und schnell gedeutet und benannt.

Eine Gruppe von 7 Schülern deutete mit einem Zettel hin auf:

"Liebesgefühl", Freude, Trauer, 3 trauernde Frauen, sich bekämpfende Messer ("Liebe und Hass"), nach außen glücklich- innen voller Trauer, Neid auf andere, nach außen sind viele glücklich und nach innen sind viele traurig

ein Schüler legte einen eigenen Zettel vor:
Trauer, Eifersucht, 3 trauernde Frauen, sich bekämpfende Messer, von außen glücklich und innen voller Sucht (*!*), Familienfreude, Abschied nehmen, man vermisst jemanden, Einsamkeit


Lehrplanauszug (bay. Hauptschule, 2004)
Betrachten:
Grafik und Malerei der Moderne, z. B. - Pflanzenornamente des Jugendstils; - Entwicklungsreihen (Mondrian: "Baumstudien", "Ingwertopf"); - Grafik des Expressionismus (Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff); - kubistische Stillleben (Picasso, Gris, Braque); - Kandinsky (Kompositionen, Improvisationen, Impressionen); - Delaunay (Fensterbilder)

BILDNERISCHE PRAXIS
9.2 Empfindungen anschaulich machen: Stimmungsbilder; Musik und Sprache, Geräusche und Tasterlebnisse, aber auch abstrakte Begriffe können Empfindungen und Vorstellungen wecken und zu bildnerischen Entsprechungen anregen. In eigenen Bildkompositionen sollen die Schüler versuchen, auf nicht-visuelle Reize einfühlend zu reagieren und ihre Stimmungen oder Träume sichtbar zu machen. Dazu werden die Ausdruckswerte der Gestaltungsmittel bedacht 9.6 und auch Möglichkeiten symbolhafter Veranschaulichung erkundet. Die Arbeitsergebnisse und Kunstwerke regen zu Gesprächen an, in denen die Schüler ihre Empfindungen austauschen. KR 9.2.1, D 9.2.1, Mu 9.4.3
Gestalten:
Malen, Zeichnen: - freie Versuche, nicht-visuelle Reize in Formen, Farben und Bewegungsspuren umzusetzen; - Erfinden einer Bildkomposition zu "Stichworten" wie Frühling, Schweben, Trauer, Aggression, Harmonie; bewusstes Verwenden von Farbe und Form als Stimmungsträger Betrachten: Schülerergebnisse, Kunstwerke; Überprüfen der Wirkungen im Gespräch, z. B. nach: - dem Stimmungsgehalt, - den Ausdruckswerten von Farbe und Form; ggf. der Bedeutung von Zeichen und Symbolen;


Lehrplan-Zuordnung bay. Gymnasium (Entwurf 2002):
Ku 11.2 Bildende Kunst
Ku 11.2.1 Europäische Stilbildung

In den Jahrgangsstufen 6 mit 10 wird der Zugang zur Bildenden Kunst vor allem von inhaltlichen Leitideen bestimmt. Die erworbenen Kenntnisse über Stilmerkmale werden nun aktualisiert. Anhand repräsentativer Werke von der Romanik bis zur Romantik nehmen die Jugendlichen Einblick in Entwicklungen der europäischen Stilepochen.
Betrachten: exemplarische Werkbeispiele: verschiedener Gattungen aus "Romanik bis Romantik" Aufbau einer Übersicht, evtl. als unterrichtsbegleitendes Jahresprojekt
Entwicklung eines Orientierungsrasters: Epochen, Gattungen, Stilmerkmale, Charakterisieren und Zuordnen von Werken

Gestalten z. B.: Sammeln von Bildmaterial, Fertigen von Schemazeichnungen, Beschriften mit Kurztexten; graphische Ausgestaltung der Übersicht in Gemeinschaftsarbeit; digitale Präsentation

2 Bildende Kunst
Kunstgeschichtliche Längsschnitte: Kontinuität und Wandel (ca. 8 Std.)
Das Bestreben der Jugendlichen, eigene Standpunkte zu gewinnen und zu behaupten, lenkt ihr Interesse auch in der Kunst auf Wertfragen, die an historischen Wendepunkten besonders deutlich in Erscheinung treten (> G; > EU, W). Die Schüler sollen sich in vergleichenden Betrachtungen nach unterschiedlichen Aspekten neue Ansätze zur Werkerschließung erarbeiten, die Kontinuitäten und Wandlungen in historischen Entwicklungsgängen deutlich machen und das Einzelwerk inübergreifende Zusammenhänge stellen (> D, Fs, Mu).

Betrachten:
Kunstwerke im Vergleich, Überblicke bzw. Längsschnitte zur Wahl:
eine Epoche, zwei Epochen im Kontrast, historische Längsschnitte, Rückgriffe und 'Renaissancen'
Auseinandersetzung mit außereuropäischer Kunst
mögliche Schwerpunkte in der Behandlung:
Untersuchen von Werken verschiedener Regionen, Gattungen oder Künstler
Feststellen von Unterschieden/Gemeinsamkeiten in Form, Inhalt und Ausdruck, Nachspüren der Entwicklung von Motiven, Themen oder Techniken, Auffinden von Vorbildern und Ursachen der Rückbesinnung, Aufzeigen von Einflüssen (z.B. auf Impressionismus, Expressionismus, Kubismus), vertiefende Auseinandersetzung mit einem im Überblick behandelten Werk, selbständiges Vorbereiten von Beiträgen, auch in Form von Schülerreferaten, Unterschiedliche Näherungswege, erster Eindruck, einfühlende, frei assoziierende
Bildmeditation: der sichtbare Bestand des Werkes; genaues Beobachten, Erfassen und Beschreiben von Einzelheiten und Zusammenhängen, Erschließung im Rahmen kunstgeschichtlicher Zusammenhänge der Entstehung, Bedeutung und Wirkung, Einbeziehen werktechnischer, ikonographischer, stilgeschichtlicher und biographischer Aspekte; Auswerten von Fach das Kunstwerk als Welt-Bild, Vor-Bild, Gegen-Bild (> K11, Ev11, Eth); Verdeutlichung religiöser, personaler oder sozialer Sinnorientierungen
Einbeziehen geistes- und sozialgeschichtlicher Aspekte; Aufsuchen von Entsprechungen zu Wertvorstellungen aus Religion, Philosophie, Dichtung; Literatur, Musik usw.


Literatur: Edvard Munch, Digitale Bibliothek Band 22: Kindlers Malerei-Lexikon, nachbearbeitet.

Munch, Edvard
* 12.12.1863 in Løten (Hedmark), † 23.1.1944 in Oslo

Edvard Munchs Gesamtwerk ist der bedeutendste Beitrag der nordischen Völker zur modernen Kunst. Neben van Gogh und Gauguin war Munch einer der Überwinder des Naturalismus und Begründer des Expressionismus; seine Malerei übt seit den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts eine immer noch wachsende Wirkung aus. Der einzigartige Zauber seiner Kunst ist schwer in Worten auszudrücken: Er liegt einmal in der Originalität und Kühnheit seiner Motivwahl und Bildgestaltung, in der ganz persönlichen "Erscheinung", der sogar vor den sexuellen Tabus der Viktorianischen Epoche nicht zurückschreckte und dadurch Ärgernis erregte, was heute kaum noch zu begreifen ist; er liegt zum anderen in Munchs malerischem Reichtum, seiner verfeinerten Linienführung und farbgebenden Verfeinerung sowie in der künstlerischen Sprache, mit der er die zartesten Regungen der Seele auszudrücken vermochte.
Munchs Kunst ist eine Kunst der Erinnerung: Sie gestaltete, was er in den großen und seltenen Augenblicken vollkommener Empfänglichkeit erlebt und erfahren hatte. In seinem Wort:»Ich male nicht, was ich sehe, sondern, was ich sah!« enthüllte er viel von dem Geheimnis dieser Kunst. Seine zugleich visuelle wie seelische Erlebensweise suchte unermüdlich nach der entsprechenden Form oder vielmehr Formel. Er sagte an anderer Stelle: »Kunst ist Kristallisation«; auf solche Kristallisationen lief sein ganzes Streben hinaus. Wenn er ein Thema durch wiederholte Experimente bis zu diesem Punkt durchgeführt hatte, lag das Gerüst des Bildaufbaues gewöhnlich fest; aber in ständigen Wiederholungen versuchte er durch Farbvariationen dem Motiv immer neue Ausdruckswerte abzugewinnen.

Munch stammte aus einer alten angesehenen norwegischen Beamtenfamilie, die hervorragende Wissenschaftler und Künstler hervorgebracht hatte, darunter den bedeutenden norwegischen Historiker Peter Andreas Munch, einen Onkel des Künstlers. Auch Edvards Vater war ein hochbegabter Mensch, der sich neben seinem Beruf als Arzt vornehmlich mit dem Studium der Geschichte befaßte. Bald nach der Geburt des Knaben ließ sich die Familie in Kristiania, dem heutigen Oslo, nieder. Der frühe Tod der Mutter und der ältesten Schwester sowie die religiösen Grübeleien des Vaters weckten im empfindlichen Gemüt des Jünglings eine Neigung zu nachdenklicher Versenkung. Schon vor seinem 17. Lebensjahr war er entschlossen, Maler zu werden. 1881 wurde er Schüler des Bildhauers Julius Olavus Middelthun. Im Jahre darauf kam er zu dem jungen Christian Krohg. Als 20jähriger malte er sein erstes reifes Werk Morgen: eine meisterhaft durchgeführte naturalistische Licht- und Atmosphärenstudie mit einem jungen, halbbekleideten Mädchen auf dem Bettrand. Nach einem ersten kurzen Aufenthalt in Paris 1885 entstanden Arbeiten wie das stattliche ganzfigurige Porträt seines Malerfreundes Jensen-Hjell und der impressionistische Tanzabend.

Etwa gleichzeitig brach Munch mit dem Naturalismus in seiner ersten und wohl besten Fassung vom Kranken Kind von 1885-86; mit diesem später oft wiederholten Thema als Gemälde wie auch als Lithographie und Radierung leitete er einen neuen malerischen Stil ein, dessen Tendenzen sich auf Andeutung und Vereinfachung richteten. Das strenge, konstruktive Gerüst dieses Bildes macht deutlich, daß hier erstmals die»Kristallisation« erreicht war. Noch als alte Mann konnte Munch sagen: »Das 'kranke Kind' war der Durchbruch meiner Kunst. Es ist expressionistisch in seiner Auffassung, kubistisch im Aufbau.« Stark expressiv gestaltete er auch die beiden Frauenthemen Der Tag danach und Pubertät (Oslo), die er 1894-95 nach dem Verlust der ersten Fassungen von 1886 neu malte.

Von da an liefen in Munchs Kunst durch mehrere Jahre zwei Strömungen nebeneinander her. Einerseits pflegte er eine wirklichkeitsbetonte Studienkunst in Landschaften, Bildnissen und Innenansichten: Das beweisen Gemälde wie Frühling von 1889 oder das scharf charakterisierende Porträt des Führers der Kristiania-Boheme Hans Jaeger aus demselben Jahr; das zeigen die strahlenden Bilder von Straßen in Oslo und Paris oder die leuchtenden Riviera-Szenen von 1889-91, die bisweilen eine gewisse Annäherung an die Technik des Pointillismus verraten, die auch die Sommerlandschaften vom Oslofjord auszeichnet. Andererseits steigerte er sich in eine von nordischer Sehnsucht und Melancholie genährte Phantasiekunst: Er malte schlafwandlerisch umherirrende Menschen in einer von geheimnisvollen Kräften durchwobenen Natur - Menschen im Banne ihrer eigenen dunklen Triebe, in Liebe, Haß, Angst, Eifersucht, Einsamkeit und Todesahnung.
Munch verbrachte von 1889 bis 1905 und auch später gelegentlich die Sommermonate in dem kleinen Fischer- und Badeort Asgardstrand am Oslofjord. Die anmutige Fjordgegend mit sanft wogender Strandlinie und vom Mond beleuchtetem stillen Wasser verlieh vielen seiner Bilddichtungen von Pan und Eros ihre eindringende und musikalische Stimmungsgewalt: Das zeigen Bilder wie Abendstunde und Sommernacht von 1889, Strandmystik von 1892, Gestirnte Nacht und Der Sturm von 1893 sowie Mondnacht von 1895. Aus solchem beseelten Naturerlebnis, in das sich Erinnerungen an stürmische Lebensformen der Boheme von Berlin und Kristiania mischten, wuchsen allmählich jene Liebes- und Todesmotive hervor, die der Maler zum »Fries des Lebens« miteinander verband. Einige dieser Bilder - wie die ersten Fassungen von Kuß, Melancholie, Angst, Abend auf der Karl Johans Gate und Zwei Menschen - zeigte Munch bereits im November 1892 auf seiner, vom Verein Berliner Künstler im Architektenhaus in Berlin veranstalteten Ausstellung, die mit einem großen Skandal zur Spaltung des Vereins und später zur Gründung der Berliner Sezession führte. In den folgenden Jahren fügte Munch in diesen »Fries des Lebens« weitere Kompositionen ein: 1893 Der Schrei und Die Stimme, um 1893 Vampir, 1894 Asche, 1894-95 Madonna und 1899-1900 Tanz des Lebens. Um 1895 malte er das Bild Die Frau in drei Stadien, das die Sexualkomplexe des Künstlers in eigenartiger Weise wiedergibt; weiter entstanden als Hauptwerke dieser produktiven Epoche das monumentale Bildnis seiner Schwester Inger von 1892, Mondschein von 1893, Der Maler mit einer Zigarette von 1895, Die Mädchen auf der Brücke um 1900 und Weiße Nacht von 1901.

Im Jahre 1894 begann Munch als Graphiker zu arbeiten. Er schuf zunächst Radierungen und Lithographien, einige Jahre später auch Holzschnitte; mit dieser Technik erzielte er - in Schwarzweißblättern ebenso wie in reich variierten Farbdrucken - wohl die kühnsten und neuartigsten Wirkungen. Krankes Kind, Kuß und Madonna zählen zu den Spitzenleistungen moderner Graphik. Bis wenige Wochen vor seinem Tode blieb Munch auf diesem Gebiet tätig. Sein graphisches Gesamtwerk umfaßt mehr als 700 Arbeiten: etwa 200 Radierungen, 140 Holzschnitte und im übrigen Lithographien.

Nach 1889 lebte Munch meist im Ausland, zunächst in Paris und Nizza, 1892-95 in Berlin, 1896-97 wieder in Paris, 1899-1900 in Italien und 1901-08 wieder in Deutschland; dort besaß er einflußreiche Gönner und Vorkämpfer. Er malte zahlreiche Porträts und entwarf Bühnendekorationen. 1907 schuf er einen dekorativen Fries für Max Reinhardts Kammerspieltheater in Berlin. Ferner entstand damals die beachtenswerte Reihe großer ganzfiguriger Männerbildnisse, die er als »die Leibwache meiner Kunst« bezeichnete: Der Deutsche - G. Schlittgen, Der Franzose - M. Archinard von 1901, Walther Rathenau von 1907 und Dr. Daniel Jacobson von 1909. Diese Bilder zeigen eine hellere, besonders im letzten Werk sehr kräftige Farbenskala; sie sind durchwegs von einer souverän treffsicheren Charakterisierung. Eng damit verbunden waren Munchs Schilderungen männlicher Kraft un Gesundheit wie in dem während der Jahre 1907 bis 1909 gemalten Triptychon Badende Männer und später in seinen monumentalen Arbeiterkompositionen, darunter Arbeiter im Schnee um 1913-14.

Hingegen bezeugen andere Gemälde wie Marats Tod von 1905 und Begierde von 1907 eine schwere seelische Krise, die einen Nervenzusammenbruch herbeiführte. Ein halbjähriger Aufenthalt in einer Kopenhagener Klinik brachte ihm jedoch völlige Genesung.

Im Frühjahr 1909 sah Munch nach vierjähriger Abwesenheit sein Vaterland wieder. Er ließ sich im Städtchen Kragerø an
der norwegischen Südküste nieder und war dort fast ausschließlich mit den Wandgemälden für die Aula der Osloer Universität beschäftigt, die 1916 eingeweiht wurden. Unter diesen Dekorationen gehören besonders das Gemälde Die Geschichte, auf dem unter einer mächtigen Eiche in felsiger Küstenlandschaft ein Greis zu einem lauschenden Knaben spricht, sowie Die Sonne - der aufsteigende, allesbelebende Planet - zu Munchs großartigsten Schöpfungen. Die Aula wurde bald zum Quell der Inspiration für die neue, rasch aufblühende norwegische Wandmalerei, obwohl diese im Gegensatz zu Munch meist die Freskotechnik bevorzugte. Die gleichzeitigen Schnee- und Strandbilder, Straßenszenen von Kragerø oder Erntemotive wie Mann im Kohlacker von 1916 enthielten dieselbe Huldigung an die lebensbejahenden und wachstumsfördernden Kräfte des Daseins. Fast alle Werke aus dieser wohl persönlich glücklichsten Periode im Leben des Künstlers sind von leuchtender Helligkeit und üppig schwellendem Farbenreichtum. Die Malweise ist breitflächig und skizzenhaft, die Komposition eindrucksvoll einfach. Nach 1920 wichen dieses Ehrung des Lichtes und der Sonne sowie die Freude an der sinnlichen Welt nun einer romantisch zurückschauenden Stimmung. In den 1921-22 gemalten Dekorationen im Speisesaal der Osloer Schokoladenfabrik Freia wurden wieder Erinnerungen an Motive aus vergangenen Sommern in Asgardstrand wach. Auch die frostig blauen Winternachtbilder aus Ekely in der Nähe Oslos, wo Munch seit 1916 wohnte, erinnern mit ihrer gespenstischen Schattenbildung und dem schimmernden Lichtermeer der fernen Stadt an die Stimmung vieler Jugendwerke. Endlich fanden alte Boheme-Motive in Gemälden wie Hochzeit des Bohemien (Oslo) und Tod des Bohemien (Oslo) von 1925-26 eine neue Form. Als Maler von Akten gelangen Munch 1925 so vollendete Werke wie die Serie Morgen, Mittag, Abend und Nacht.

Im Laufe seines Lebens schuf Munch eine ungemein dichte Reihe von Selbstbildnissen. Das erste entstand 1880, das letzte vollendete er wenige Monate vor seinem Tode. Durch den steten Wechsel in Ausdruck, Stil und Technik geben diese Selbstdarstellungen die beste Einführung in die konflikterfüllte Psyche des großen Einsamen; vor allem die Bilder aus seinen letzten Lebensjahren sind von ergreifender Eindringlichkeit.


Expressionismus
Bereits Ende der achtziger Jahre des 19. Jh.s war das Sehmodell des Impressionismus fragwürdig geworden; mit dem Auftreten Gauguins und van Goghs, mit dem immer größeren Gewicht, das die Kunst Cézannes bekam, mit Synthetismus und Symbolismus kommt ein neuer Ton in die Malerei.

Der Augenschmaus von Monet und Manet nahm für manchen einen schalen Geschmack an. Der Sage-Trieb, daß Kunst etwas»bedeute«, daß etwas "dahinter" d. h. hinter der Form sein müsse, brach wieder durch und löste eine ganze Reihe von»Widerstandsbewegungen« der jungen Künstler aus, deren stärkste und entschiedenste der Expressionismus war, der vor allem auf deutschem Boden entstand, wo die Kunst stets Mittler für Überwirkliches und geistigen Inhalt gewesen war und sich nie mit der einfachen Übermittlung des Sichtbaren zufrieden gegeben hatte.

Die Kunst, die nach dem deutschen Renaissancekünstler Albrecht Dürer dazu da ist, die Leiden des Herrn dem Andächtigen näher zu bringen, bediente sich seit eh und je expressiver Einstellungen und Übertreibungen in Form, Proportion, Gestik und Farbigkeit. Das Leidensthema, das in krassen Darstellungen zum Mitleiden auffordert, ein zentrales Motiv der christlichen Kunst, bestimmt die Formulierungen des deutschen und nordischen Mittelalters entscheidend. Auf dieses Mittelalter beriefen sich auch die literarischen Manifeste der antinaturalistischen Bewegung des Expressionismus, für die Herwarth Walden im Jahre 1911 den Namen prägte.

Der erste Zusammenstoß findet in Paris Ende der achtziger Jahre statt, als der 27jährige Edvard Munch die Los-vom-Impressionismus-Versuche der Gauguin und van Gogh kennenlernte. Er geriet in den Kreis der Symbolisten, deren dekorativer Tiefsinn dem Norweger aber nicht genügte, dessen Bilder (Die tote Mutter) in Schwefelgelb, Orange und Graugrün ausbrechen, zusammengehalten durch wabernde, unheimlich zähflüssige Konturen.

Linienornamente, nicht so expressiv wie bei Munch, fesseln auch in symbolischen Bildern wie Die Nacht die Gestalten Ferdinand Hodlers, die in gleichem Maße in die Dekoration des Jugendstils wie in die Emotion des Expressionismus weisen.

Der Expressionismus ist eine Bewegung, die meist immer noch diesseits der Natur operiert, angefangen von der Ausweitung ins Ausdruckshafte, die der Impressionismus durch den späten Corinth erfuhr, bis zu dem feinnervigen hektischen Psychologismus der Porträts des fanatisch naturgläubigen Oskar Kokoschka oder bis zu dessen visionären Landschaftsräumen und mythologisch-antikischen Gestaltenensembles.

Fast alle nachimpressionistischen Kunstströmungen berufen sich, auf den schöpferischen Motor »Expression«, womit auch ihre unnatürliche Formgebung motiviert und gerechtfertigt erscheint. Hier verliert das Expressive an Überzeugungskraft, da es auf graphologisch und farbpsychologisch deutende Kommentare angewiesen ist..


Weitere Links:
www.cyberinstitut.de/munch.htm
www.hh.schule.de/gsm/inf13/Namen/Munch1.html
www.uni-leipzig.de/ru/themen.htm
http://www.artchive.com/artchive/M/munch.html#images

Reinhard von Tümpling, Februar 2005