Zwei Prinzessinnen
Überlegungen und Übungen zur Betrachtung von Plastik in der Oberstufe
am Beispiel von Johann Gottfried Schadows Doppelbildnis von 1795-97, 
der Schwestern Luise und Friederike von Preußen

von Uli Schuster

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Gegen Abend war uns, mir aber besonders, ein liebenswürdiges Schauspiel bereitet: die Prinzessinnen von Mecklenburg hatten im Hauptquartier zu Bodenheim bei Ihro Majestät gespeist, und besuchten nach Tafel das Lager. Ich heftelte mich in mein Zelt ein und durfte so die hohen Herrschaften, welche unmittelbar davor ganz vertraulich auf und nieder gingen, aufs genaueste beobachten. Und wirklich konnte man in diesem Kriegsgetümmel die beiden jungen Damen für himmlische Erscheinungen halten, deren Eindruck auch mir niemals verlöschen wird.“ 
(Goethe am 29. Mai 1793, zitiert in Stuttgarter Mappe, Bd 36 von 1988)
Die von der Allgemeinheit geteilte Bewunderung für die "himmlischen Erscheinungen" erreichte einen Höhepunkt, als im Dezember des Jahres 1793 kurz nacheinander zwei  Hochzeiten stattfanden. Die 18-jährige Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz heiratete den Kronprinzen von Preußen, Friedrich Wilhelm (III.) und die 16-jährige Friederike dessen jüngeren Bruder Louis. Das gab vielleicht den Anstoß für Joh. Gottfried Schadow, diese Plastik der beiden Schwestern zu schaffen.
Was können Schüler leisten bei der Beschreibung, Untersuchung und Interpretation von Plastik? Wozu soll man sie im Unterricht anleiten? Handelt es sich da um ein lehrbares Stoffgebiet, oder greift hier in erster Linie Intuition? Worin besteht der rationale Kern solcher Aufgabenstellungen und verspricht ein methodisches Vorgehen Kompetenzen, die über den Zweck einer fachlichen Qualifikation hinausreichen? Die nachstehende  Auseinandersetzung mit einer klassizistisch-romantischen Plastik probiert Antworten auf solche Fragen zu geben.

A) Erster Eindruck
Eine häufig formulierte Aufgabenstellung beim Betrachten von Kunstwerken lautet: "Schildere Deinen ersten Eindruck". Im Zusammenhang mit Prüfungsaufgaben ist diese Frage eine rhetorische Wendung. Der erste Eindruck eines Prüflings könnte ehrlich gesagt etwa so lauten: "So ein Mist, ist dem Lehrer wieder nix Blöderes eingefallen, als uns diese langweiligen versteinerten Ziegen aufs Auge zu drücken?"
So ist das mit dem "Ersten Eindruck" nicht gemeint. Gemeint ist eine unvoreingenommene, erste Annäherung an das Kunstwerk durch Formulieren eines in der Wortwahl subjektiven, durchaus gefühlsbetonten, am Augenschein orientierten Text, für den sich etwa folgende Leitfragen formulieren lassen:
  • was springt mir ins Auge? 
  • was fällt mir auf? 
  • was macht mich an? 
  • wie kommt mir das vor? 
  • woran erinnert mich das? 
  • was fällt mir dazu ein? 
  • kenne ich das von irgendwoher?

Vorschlag1
Zwei Mädchen, so eng aneinander geschmiegt, dass ich sie wie eine Einheit empfinde. Erst auf den zweiten Blick erschließen sich mir nach und nach die Unterschiede in Größe Haltung und Gebärde und damit auch der bezeichneten Charaktere. Was sie zusammenhält ist eher die umklammernde Geste, die mir vorkommt, als hätte der Bildhauer die beiden aufgefordert, für einen Moment einmal als ein Herz und eine Seele zu posieren. Das erinnert mich an ein Foto aus meiner Kindheit, auf dem meine große Schwester mich vierjährigen Knirps wie beschützend in den Arm genommen hat. Ich glaube, das hat sie nicht oft getan, meistens haben wir wohl gestritten, aber wir wussten instinktiv, was wir dem Fotografen in dieser Situation schuldig waren.

Vorschlag 2
Die zwei jungen Damen sind nicht schlecht herausgeputzt. Die Zofe hat sich sichtlich viel Mühe gegeben, hat die langen Haare ordentlich in der Mitte gescheitelt und wie zufällig nach hinten gebunden; bei der Größeren mit Hilfe eines Tuchs, das auch den Kopf so hebt, wie es sich für eine Prinzessin gehört. Ein wenig an Fasching erinnern mich die langen Gewänder. Nicht dass sie improvisiert wirken, wie umgearbeitete Bettücher, sondern eher sorgfältig geschneidert, wie aus dem Theaterfundus oder Kostümverleih. Ein Kinderfoto meines Vaters kommt mir in den Sinn, wo Oma den vielleicht 5 jährigen wie ein Mädchen frisiert und in ein Matrosenkostüm gesteckt hat. Der Fotograf hat ihn im Atelier neben einen Blumenkübel gestellt und ihm eine Peitsche in die Hand gedrückt, damit die Hände nicht so leer herumhängen. „Jetzt aber lächeln“ hat er dann vermutlich gesagt, bevor er die Klappe auf dem Objektiv weggenommen hat. Wie lange der Bildhauer wohl gebraucht hat, bis die traute Pose der beiden Mädchen saß, die so natürlich wirken soll und mir dabei so perfekt austariert scheint? 

Vorschlag 3
Prinzessinnen in zivil? Wenn ich mir zeitgenössische oder ältere Bilder von Prinzessinnen in Erinnerung rufe, dann fehlen mir an Schadows Versteinerungen irgendwie doch die Insignien höfischer Würde. Etwa auf Goyas Familienbild von Carlos IV, das um 1800 entstand, nur ein paar Jahre nach den "Schwestern", ist der Aufwand an Schmuck und teueren Stoffen doch erheblich höher. Ein Krönchen wäre das mindeste, was man erwarten kann. Schadow wird sich schon etwas gedacht haben, wenn er darauf vertraut, dass die beiden Mädchen allein durch ihre edlen, fein gezeichneten Gesichter, ihre stolze Haltung und Gewänder, die sie in die Rolle antiker Koren versetzt, schon hinreichend geadelt sind. Zwei Mädchen im heiratsfähigen Alter lassen mich auch an eine Heiratsanzeige, in Stein gemeisselt, denken. Frauengewänder gegen Ende des 18. Jhs habe ich als körperbetont in Erinnerung. Madame Tallien, oder Josephine Beauharnais waren die Trendsetter. Der Ausschnitt lag tief, enthüllte freimütig das, was man „Quell der Mutterschaft“ nannte, und die Taille war bis zur Brust hochgezogen. Die Stoffe oft spinnwebzart und transparent, dass sie vom Körper mehr zeigen als sie hinter vielen Falten verbergen konnten. Korsetts und Unterkleider trug man nicht mehr. 
Schadow hält sich da noch maßvoll zurück, insbesondere bei der Jüngeren der Beiden. Aber vielleicht musste eine Frau auch erst verheiratet sein, um wie Paolina Borghese als Liebesgöttin Venus vom Bildhauer (Canova) dargestellt werden zu dürfen. Luise hat das von Schadow gegebene Versprechen auf reiche Mutterschaft gehalten. Sie schenkte dem König zehn Kinder.
Erster Eindruck Fazit
Der "Erste Eindruck" sollte
  • zurückgreifen auf Bilder aus dem eigenen Gedächtnis und dem persönlichen Erleben
  • Anhaltspunkte aus dem Bildtitel aufnehmen
  • Verknüpfungen leisten mit dem persönlichen Repertoire historischer oder zeitgenössischer Kunstwerke
  • ganz gezielt sprachlich in subjektiver Form (1. Person) abgefasst werden


B) Beschreibung
Im Gegensatz zur Analyse, die zergliedert, hat die Beschreibung zunächst die Gesamterscheinung im Auge. Sie ist deskriptiv, sachlich, vermeidet Ausdeutungen, Bewertungen. 
Der Text wird in der 3. Person verfasst und benützt viele Adjektive. Schildern  bedeutet „in Worten nachzeichnen“ .

Aufgabe:
Redigiere den Text so, dass er nach unseren Kriterien als „Beschreibung“ durchgehen kann.
Empfohlenes Vorgehen: Mit einem Marker die rein beschreibenden Passagen kennzeichnen.
Erweiterung: Kennzeichne die interpretierenden Passagen in einer anderen Farbe.

Die weiße Marmorskulptur steht erhöht auf einem Block aus grauem Marmor, dessen Vorderseite zwei von Rosenkränzen gerahmte Tafeln trägt, die Name und Stand der Prinzessinnen verzeichnen. Die knapp bemessene Plinthe, auf der die beiden Figuren stehen, trägt die Inschrift „ann. XI. regn. Frid. Guill. II.” – im 11. Regierungsjahr Friedrich Wilhelms II.
Luise, die ihre Schwester leicht überragt, hat den Arm der Jüngeren um die Schultern gelegt und schaut erhobenen Hauptes in die Weite. Friederike, die mit der Linken die Hand der Schwester vertraulich berührt, hat die Rechte auf deren Hüfte ruhen. Den Kopf leicht vorgeneigt, blickt sie versonnen nach unten. Antiken Statuen gleich den linken Fuß etwas nach vorne gesetzt, steht sie mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Anders Luise, die diesem Halt vertrauend ihr linkes Bein in langem Bogen über das rechte kreuzt. Beide Füße nun jenseits der Körpermitte nach außen gerückt, empfängt sie die Stütze der Schwester.
Als ein lebendiger Dialog der Haltungen und Gesten, baut sich die organische Architektur der Gruppe kunstvoll auf. Die physischen Kräfte der Körper, die in labiler Statik lebendig zusammenwirken, sind dabei ebenso anschaulich wie der seelische Ausdruck, dessen Träger sie sind. Im Schub und Gegenschub der beweglichen Hüften, im Stützen und Lasten der Schultern und Arme, in der kontrastierenden Richtung der Köpfe und Blicke, ist jedes der Mädchen in seinem eigenen Wesen ebenso einfühlsam erfasst wie die Beziehung zueinander: Es sind Geschwister, die sich mögen, die liebevoll einander vertrauen und die zusammenstehen.
Luise ist gelassener und zurückhaltender als die Schwester. Ihr Rock, schlicht und raffiniert zugleich, ist antiker Kleidung nachempfunden und neueste Mode aus Paris. Das weite Gewand mit halb langen Ärmeln, weitem Halsausschnitt und kurzer Taille, knapp unter dem Busen gegürtet, fließt vom Gürtel in langen, ruhigen Falten über den Leib bis auf den Boden. Von der Schulterschräge zur Hand, die wie absichtslos den Schleier fasst, gleitet die leichte Kurve des Armes nach unten. In Gegenbewegung schwingt das linke Bein in langer Kurve nach außen bis unter die Hüfte. Nackte Füße in antiken Sandalen lugen unter den faltigen Säumen hervor.
Friederike ist lebhafter, ihr Gewand ist reicher, bewegter, gegliederter. Es flattert, knistert und raschelt. In den tiefer sitzenden Gürtel ist an der Hüfte der Überrock hoch gesteckt und zur Schürze gerafft. Sein schmaler Saum begleitet im schrägen Fluss den ruhigen Beinschwung der Schwester. Dazwischen aber, auf engstem Raum, entlädt sich das Temperament in heftiger Bewegung: In diagonal gegeneinander geführten Konkavschwüngen wirft sich der Stoff zu scharfen Graten auf und treppt in munteren Faltenkaskaden herab. Ruhig dagegen bleibt das Kleid unter der Schürze, unter dem das linke Bein zur Stütze der Schwester bis zur Ecke der Plinthe ausgreift.

Harmonie als Einheit des Mannigfaltigen im Ausgleich der Gegensätze – diese klassische Maxime der Komposition ist nicht nur in der plastischen und graphischen Behandlung der Binnenformen überzeugend verwirklicht. Das unterschiedliche Temperament der Mädchen wird auch im Umriss der Gruppe sichtbar, der die Gestalten zur großen Form zusammenfasst. Sicherheit und Festigkeit gewinnt das Standbild durch seine geschlossene Masse, die zwischen den Figuren keine Durchbrechungen zeigt. Luises Außenkontur ist ruhig, der locker hängende Arm schließt an den Körper an. Lebhaft aber gerät die Silhouette der Schwester. Weit stößt der abgewinkelte Arm über die Begrenzung der Plinthe hinaus in den Raum vor und weit dringt dieser am Gürtel in die Masse des Steines ein.

Schadows nüchterner Blick bewahrt ihn vor jeglichem Pathos. Empfänglich für natürliche Anmut und Grazie weiß er die Temperamente treffend zu schildern. Doch geht sein Blick tiefer – auf den Charakter der Mädchen und ihre Tugend. Und dies ist mehr als nur das ererbte Naturell, ist das durch Erziehung, durch Einsicht und Willen geformte Wesen der Person. So gibt es Momente im Ausdruck der Mädchen, die ihrem Temperament entgegenwirken. Die lebhafte Friederike hält sich bescheiden zurück, ihr Blick ist gesenkt, sie birgt die rechte Schulter hinter dem Rücken der Schwester. Die Kronprinzessin, von eher zurückhaltender Natur, kommt dadurch stärker nach vorn, tritt heraus aus ihrer Verschlossenheit, wagt offen den freien Blick und stellt sich gelassen und sicher den neuen Pflichten als künftige Königin des Landes.

Autor: Kraft Geer

Beschreibung Fazit
Die Beschreibung sollte in sachlicher Form (3. Person) Aussagen liefern zu folgenden Punkten:
  • Objektive Daten: Titel, Autor, Zeit, Größe, Material, Standort
  • Gattung: Standbild - Reiterstandbild - Denkmal; Grabmal, Sarkophag; Büste, Maske;

  • Brunnen:  Bauplastik; Objekt, Environment, Installation
  • Thematik: Was ist dargestellt? 

  • Bei Personen: Figur, Kleidung, Ausstattung, Frisur, Haltung, Gestik – Mimik; Handlung
    Bei Dingen: Wie beschaffen, in welchem Zustand?

C) Analyse
Anhaltspunkte, Kriterien, Kategorien, die bei der
Analyse dieser Plastik hilfreich erschienen
Im Gegensatz zur Beschreibung ist die Analyse zergliedernd und hat Einzelaspekte im Auge. Sie ist wie die Beschreibung deskriptiv, sachlich und vermeidet Ausdeutungen, Bewertungen. 
Der Text wird in der 3. Person verfasst und benützt viele Adjektive. Analysieren heißt den Dingen auf den Grund gehen, sie auseinanderhalten und einzeln betrachten.

Analyse - 1. Haltung
An der figürlichen Plastik lässt sich die Haltung der Figuren untersuchen, zum Beispiel, indem man versucht, die Plastik nachzustellen, indem man eine Rekonstruktion an einem Drahtmodell vornimmt, indem man die Figur auf ihr Achsensystem zeichnerisch zurückführt. Wie man im Vergleich leicht feststellen kann, gelingt dies jeweils mehr oder weniger. Das aber ist genau der Punkt an dem im Unterricht die Diskussion einsetzt, Korrekturen vorgeschlagen werden, oder auch eine Erkenntnis erfolgen kann, dass die Haltung Schmerzen verursacht, künstlerisch optimiert wurde, unnatürlich, lässig, gestelzt, oder irgendwie anders bezeichnet werden kann. In einer Montage kann man versuchen, ob sich fotografische Rekonstruktion und Abbildung des Originals zur Deckung bringen lassen.
Haltung: Fazit
Das Studium der Haltung sollte Aussagen liefern können zu folgenden Punkten:
  • Achsensystem - Richtungen - Entsprechungen – Kontrastierungen
  • Blickführung - Rhythmisierung
  • Gestik und Mimik

 
Analyse - 2. Block, Proportion, Kontur
Wenn man nur frontale Abbildungen vorlegen kann lässt sich der Block, den der Bildhauer benötigt hat, zunächst nur in der Höhen- und Breitenausdehnung untersuchen. Immerhin gibt das hier Aufschluss darüber, dass der in der Plinthe noch angedeutete Block doppelt so hoch wie breit gewesen sein muß und dass der linke Arm von Friederike über die Plinthe seitlich hinausragt. Der geschlossene Umriss und der proportionale Aufbau der Gruppe in der Frontansicht liefert ein klares geometrisches Verhältnis. Über die Rekonstruktionen am Modell oder in der Fotografie lassen sich Spekulationen anstellen, wie andere Ansichten aussehen würden. Das fordert das zeichnerische Vermögen der meisten Schüler bereits gewaltig heraus.
"Das unterschiedliche Temperament der Mädchen wird auch im Umriss der Gruppe sichtbar".... Dieser Satz aus der Interpretation von Krafft Gehr (oben) wird durch die Silhouette beweisfähig untermauert. Darüber hinaus fällt bei Betrachtung der Körperachsen auch die Parallelität im Stand und in den Schultern deutlich ins Auge, was sich als Gleichschritt und Zusammengehörigkeit beschreiben lässt.
Block, Proportion, Kontur: Fazit
Das Studium des Blocks, der Proportionen und der Kontur sollte Aussagen möglich machen zu folgenden Punkten:
  • raumgreifend - nach außen gerichtet, durchlässig, bewegt, aktiv (extravertiert), 
  • blockhaft, geschlossen, umrißbetont - nach innen gerichtet, kompakt, verhalten, passiv (introvertiert), monumental - intim

Analyse - 3. Material, Oberfläche, Fassung, Bearbeitung
Wenn man den Schülern zur Betrachtung nur eine fotografische Reproduktion vorlegen kann, ist diese in den meisten Fällen auch noch schwarz-weiß, wodurch Rückschlüsse auf das Material nicht leicht fallen. Plastik ist darüber hinaus in Bezug auf die Vorstellung vom Originalen Werk ein etwas anders gelagerter Fall als die Malerei. Was uns im Museum als plastisches Kunstwerk insbesondere als Abguss geboten wird, hat in einigen Fällen die Hand des Künstlers niemals gespürt, in vielen Fällen hat der Künstler nur die Oberfläche des konkreten Objekts gefärbt. Der Gussplastik geht stets eine modellierte Form voraus, die in Wachs, Ton oder Gips vom Künstler aufgebaut wurde.
Wenn das Material einer Plastik zum Gegenstand einer Werkbetrachtung gemacht wird, könnte in vielen Fällen über diesen Prozess der Umformung nachgedacht werden. Sind Spuren des ursprünglichen Materials im Guss erhalten geblieben oder lässt die Oberfläche keinerlei Rückschlüsse zu über einen Prozess der Umformung. Mit ein wenig Glück kann man Schülern ein plastisches Werk in unterschiedlichen Materialzuständen als Abbildung vorlegen und daran unterschiedliche Wirkungsweisen beschreiben lassen oder über den Herstellungsprozess spekulieren lassen.
Wer Berlin besucht, kann Schadows Prinzessinnen in zwei Versionen zu Gesicht oder vor die Linse bekommen. Die linke Version steht in der Alten Nationalgalerie und ist aus Marmor, die rechte, aus der Friedrichswerderschen Kirche, ist aus Gips und zeigt im Prozess der Werkentstehung vermutlich ein früheres Stadium. Auch wenn wegen der sehr unterschiedlichen Lichtverhältnisse in beiden Ausstellungsräumen die Abbildungen qualitativ recht unterschiedlich ausfallen, so sagen sie doch über Material und künstlerische Intentionen eine Menge aus.
Der Marmor wirkt wächsern und entrückt, ist in der Oberfläche nicht nur geglättet, sondern poliert wie ein lackiertes Möbelstück und lässt das Bedürfnis nach taktilen Reizen ins Leere laufen nach dem Motto: "Rühr mich nicht an, ich bin nur eine Erscheinung!". Haut, Haar und Stoff sind im Material nicht mehr unterschieden, den Augen fehlt der Blick. In die Vertiefungen der Haarlocken hat sich der Meissel des Bildhauers stärker hineingegraben, als das für das Abformen in Gips angebracht gewesen wäre. Schließlich sollen sich Negativform und Positivabformung leicht voneinander trennen lassen. Der Gips zeichnet klarere Linien, unterscheidet Haut, Stoff und Haar durch eine jeweils eigene Charakteristik, lässt hinter dem Blick Richtung und Absicht vermuten.
Das sind plastische Qualitäten, über die zu sprechen lohnt und an denen sich auch sprachliches Ausdrucksvermögen schulen kann.
Spuren der Abformung wurden am Gipsmodell offenbar geglättet, lediglich am Hals und an der rechten Hand der Luise sind Nahtstellen wahrnehmbar, die vermutlich keine Operationsnarben darstellen. Im Übrigen sieht die Oberfläche so aus, als hätte der Gips einmal eine farbliche Fassung gehabt, die später abgewaschen oder übermalt wurde. Am Kopftuch der Luise schimmern Reste blauer Bemalung durch.
Zeichnerisch lässt sich als Charakteristik der Oberflächengestaltung herausarbeiten, wie der Bildhauer die Gewänder und ihre Falten nutzt, um die Körper unter der Oberfläche spürbar werden zu lassen, und wie er durch die langen Schwünge der Falten die Oberfläche der Plastik mit einem lebendigen Rhythmus überzieht. Wie durch den Unterschied in der Kontur gibt auch das Spiel der Gewandfalten seinen Trägerinnen jeweils einen unterschiedlichen Charakter. Luises Gewand fällt in der Frontansicht in langen Schwüngen knapp unterhalb der Brust zu Boden macht aber die Stellung der Beine gut sichtbar, weil sich der Rock über dem Schenkel des Spielbeins strafft. Friederikes Körper verbirgt sich stärker unter den runden und bewegteren Schwüngen des schürzenarigen Überwurfs.
Material, Oberfläche,  Fassung, Bearbeitung,: Fazit
Das Studium des Materials, der Oberfläche, der Fassung und die Suche nach Spuren der Bearbeitung oder der Vergleich mit Vorarbeiten, Zeichnungen oder anderen Fassungen könnte Aussagen möglich machen zu folgenden Punkten:
  • rau, zerklüftet, glatt, poliert 
  • Wölbungen ( konkav - konvex ); 
  • Licht - Schatten, Farbe
  • Stein: dauerhaft, schwer, monumental, leblos, hart (Basalt), transparent-lebendig (Marmor); stumpf, matt (Gips)
  • Holz: gewachsen, lebendig, vergänglich-verletzlich, weich-hart

  • Wachs: transparent, atmend, lebendig, organisch

D Interpretation
Von der Bildgattung her handelt es sich bei der untersuchten Plastik um ein Doppelportrait und Herrscherbildnis. Dazu schreibt Dr. Barbara Stambolis von der Universität Siegen in der unten angegebenen Quelle:
"Herrscherbilder sprechen durchaus nicht für sich, sie sind "unmittelbar" und "anschaulich", haben eine gewisse Anmutungsqualität ("Faszination"), sie lassen sich jedoch keineswegs intuitiv erfassen. Und sie können krass missverstanden werden. 

Herrscherbilder haben politische Funktionen. 
Bilder dienen der Legitimierung von Herrschaft. 
Bilder sind in Kontexte einzubetten, um sie lesen zu können. 
Herrscherbilder haben symbolische Funktionen, die sich erst dann aus der historischen Distanz erschließen, wenn der
Betrachter über entsprechende Hintergrundinformationen verfügt. 
Die Symboldetails müssen erkannt und im einzelnen gedeutet werden. 
Sie zeigen im Wandel Unterschiede und Auffassungsänderungen in Herrschaftsverständnissen, die mit gesellschaftlichem, politischem und sozialem Wandel einhergehen. Oft erscheint es sinnvoll, Entwicklungsreihen zu verwenden, um Wandlungsprozesse deutlich zu machen."

Interpretation - 1. Die Personen und ihre historische Bedeutung
Vater der beiden Prinzessinnen ist Erbprinz Karl Ludwig Friedrich von Mecklenburg-Strelitz. Er war bis 1787 Gouverneur in Hannover und diente in der englisch-hannoverschen Armee.
Luise Auguste Wilhelmine Amalie, geb. 10.3.1776 in Hannover ist zum Zeitpunkt der Entstehung der Plastik bereits auf Wunsch seines Vaters, König Friedrich Wilhelms II. von Preußen, verheiratet mit dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm (III.). Nach dem Tod Friedrich Wilhelms II. 1797 rückt Friedrich Wilhelm III. nach und damit wird Luise Königin von Preussen. Der König wird geschildert als eine eher schwache Gestalt, die zunehmend in den Schatten der entschlosseneren und auch vor allem beim Militär beliebten und respektierten Königin gerät. Sie betreibt die Koaltion mit Russland England und Österreich gegen Frankreich, setzt dabei aber auf das politisch schwächere Pferd. Der Sieg Napoleons über Russland 1807 zieht für Preussen den Verlust der Großmachtstellung nach sich. In einem Treffen mit Napoleon 1807 in Tilsit erscheint sie ihrem Volk als tapfere Frau, die es auf sich nimmt dem mächtigen Franzosen zu trotzen. Auch wenn sie politisch nichts erreicht festigt sich damit ihr Image als mutige Patriotin.
Luise bringt 10 Kinder zur Welt, von denen drei im Kindesalter sterben und stirbt selbst am 19. Juli 1810 im Alter von nur 34 Jahren

Friederike, zwei Jahre jünger als ihre Schwester, wurde 1778 geboren. 1793 die Ehefrau von Prinz Louis, dem jüngeren Bruder Friedrich Wilhelms III. Drei Jahre später starb dieser und machte sie im Alter von 19 Jahren zur Witwe. Aus der unglücklich verlaufenen Ehe  waren drei Kinder hervorgegangen. In den folgenden Jahren hatte die lebenslustige junge Frau mehrere Affären, darunter mit Louis Ferdinand, einem Onkel des Königs. Aus einer dieser Beziehungen erwartete Friederike ein Kind, bevor sie mit dem Gardeoffizier Friedrich von Solms-Braunfels ein Verhältnis einging. Friedrich Wilhelm III. befahl die Hochzeit beider mit gleichzeitiger Verbannung nach Ansbach unter Zurücklassung der überlebenden Kinder Friederikes aus erster Ehe. Hier trennen sich die Lebenswege der beiden Schwestern auch räumlich. 
Auch in zweiter Ehe, aus der noch vier Kinder hervorgingen, war Friederike unglücklich. Doch ihr zweiter Mann starb schon 1814. Mit 37 Jahren war sie also immer noch eine junge Witwe. Am 29. Mai 1815 fand die 3. Hochzeit statt mit Ernst August, dem Herzog von Cumberland; das Paar lebte abwechselnd in Berlin, London, Neustrelitz und Hannover.1837 übernahm Ernst August die Regentschaft als König in Hannover. Friederike wurde Königin. 1841 im Alter von 63 Jahren starb Friederike.

Interpretation - 2. Zur Entstehungsgeschichte der Plastik
Wenn man den Schülern entsprechendes Material zur Verfügung stellt, ist es durchaus denkbar, dass sie in den Entstehungsprozess eines Werks auch über die eigene Anschauung tieferen Einblick nehmen, wie schon die Gegenüberstellung von Gips- und Marmorfassung der Gruppe deutlich machen konnte. Das alte Nationalmuseum in Berlin bewahrt (in Gips) eine Vorstudie Schadows, eine Büste der Friederike auf, die sich zum Vergleich anbietet mit der Gipsfassung und der Marmorfassung der Gruppe.
Kraft Geer berichtet in seiner Interpretation der Prinzessinnengruppe (Stuttgarter Mappen Bd 36 von 1988), dass Schadow 1794 auf Vermittlung von Staats-Minister von Heinitz zunächst zwei lebensgroße Portraitbüsten der Mädchen anfertigte. Es gab also zunächst keinen königlichen Auftrag für den Bildhauer. Offenbar konnte der Bildhauer durch seine Arbeit jedoch überzeugen und den Mut fassen, das Konzept für eine Gruppe ins Auge zu fassen, die er aus Gips in einem wiederum lebensgroßen Modell vorbereitete. 
„Die Größere, die (spätere) Königin vorstellend, hielt in der rechten Hand einen Korb, der sich an die Hüfte lehnte; dieser Korb musste auf hohen Befehl wegbleiben, welches auch recht war, aber die Schwierigkeit war, den Arm womöglich in der selben Lage zu erhalten. Ich nahm ein schmales und längliches Stück Gewand, tauchte dieses, um das schnelle Binden zu verhindern, in einen mit dünnem Bier eingerührten Gips, warf dieses über die schon vorhandenen Falten, ließ es mit der rechten Hand halten und dann wieder frei niederfallen; die ganze Partie der vorherigen Falten schien unter diesem neuen Überzug durch und es entstand eine ähnliche Wirkung wie an einigen antiken Statuen, wo man durch die oberen Falten die unteren durchlaufen sieht.“
Wenn man an der Hand von Luise nach Spuren der Verändrung sucht, kann man in der Tat eine Naht etwa auf Höhe des Handgelenks erkennen, aus der man schließen könnte, dass auch die Hand selbst eine neue Geste bekommen musste um den veränderten Griff glaubhaft zu machen. Da sich das Tuch über den ganzen Rücken hinweg diagonal erstreckt, muss auch dieser Bereich durch die Maßnahme eine erhebliche Veränderung erfahren haben. Wie sah das wohl vorher aus?
Im September 1795 zeigt Schadow mit den Büsten auch das Gipsmodell in der Kunstakademie. Die Werke ernten großes Lob. Besonderen Beifall findet die Lebensnähe der Statuengruppe, denn „man konnte täglich die Natur mit dem Bildwerke vergleichen.“ Der König, Friedrich Wilhelm II, bestellt eine Ausführung in Marmor. Ganz offensichtlich war im Königshaus aber das Geld für derartige Dinge nicht zu bekommen, aber mit Hilfe des Ministers entstand die Idee, eine Marmorfassung dadurch zu finanzieren, dass die Gruppe in einer verkleinerten Fassnung in unglasiertem „Biscuit-Porcellan“ als frei verkauftes Kleinod auf den Markt kam, wo es heute noch vertrieben wird. Über die Marmorgruppe berichtet Geer: 
"Der Gehilfe Goussaut, „der durch seine große Praktik in Marmor sich auszeichnete und im Königl. Bildhauer Atelier lange als Muster in diesem Talente diente“, hatte davon das meiste aus dem Block zu schlagen und dabei auf eine genaue Übertragung aller Gewandpartien zu achten. Schadow konzentriert sich dagegen auf die Ausarbeitung der Köpfe."
Das Schicksal des Kunstwerks, Schadows Prinzessinnengruppe, nimmt zunächst einen tragischen Lauf: Wegen seiner erotischen Ausstrahlung, wohl auch wegen des Lebenswandels der Prinzessin Friederike (Schwägerin Friedrich Wilhelms III.), verbannte dieser das Kunstwerk aus seinem Gesichtskreis, so daß es erst vor 100 Jahren der Öffentlichkeit bekannt wurde. Darüber war nicht mehr in Erfahrung zu bringen.
Interpretation Fazit
Das Studium der Biografien der dargestellten Personen, die Recherchezur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte könnte Aussagen möglich machen zu folgenden Punkten:
  • Wer sind die dargestellten Personen?
  • Worin liegt ihre politische und historische Bedeutung?
  • Was ist über den Auftraggeber und die besonderen Umstände des Auftrags in Erfahrung zu bringen?
  • Was ist über die Entstehungsgeschichte und Wirkungsgeschichte des Werks in Erfahrung zu bringen?
Bei der Art und Weise wie Prüfungen bei uns ablaufen, scheint eine zeitaufwändige Recherche noch dazu mit ungewissen Erfolgsaussichten schlecht integrierbar. Im laufenden Unterricht oder als häusliche Arbeit hingegen sollte man als Lehrer auch im Fach Kunst durchaus Fragen an den Entstehung- und Wirkungs-Kontext eines derartigen Werks stellen.

Literatur/ Quellen:
Stuttgarter Mappen Bd. 36 von 1988, Neckar-Verlag Stuttgart
Biografie Schadow:
mehr Schadow
Bilder von Luise:
Biografie von Luise
Königin Luise und ihre Maler

http://rubens.anu.edu.au/raider5/germany/berlin/museums/schinkel_museum/schadow_jg/index.html

Seite der Universität Siegen PD Dr. Barbara Stambolis über Herrscherbilder des Absolutismus 
http://www.fb1.uni-siegen.de/history/dgng/kontaktstudientag/kontakt_stambolis.htm