Luc Courchesne, Portrait One

 

     
Abb 3. / 4. / 5. Screenshots der CD-ROM

 

Beim Start des Programms erscheint das Portrait einer jungen Frau (Marie), die den Betrachter lächelnd anschaut. Die Zeilen "Verzeihung ..."  und "Au revoir" dienen als Eintritt in das Programm bzw. zum Beenden. Bei Klick auf "Verzeihung ..." erscheinen weitere Sätze als Auswahlmenue: "Darf ich Sie etwas fragen?", "Schauen Sie mich an?", "Wie spät ist es" und "Unverändert". Nach dem Hypertextprinzip ruft jede Interaktion - je nach Klick auf einen der Sätze - unterschiedliche "Antworten" der Frau hervor, die als kurze Videosequenzen eingespielt werden. Die Frau lächelt oft, ihr Blick wechselt zwischen direktem Blickkontakt und träumerischem, nachdenklichem, charmantem, verlegenem Blick zur Seite.

Die Pfade durch die Dialoge entsprechen zum Teil sinnvollen, alltäglichen Kommunikationsmustern, zum Teil sind sie sprunghaft, chaotisch, rätselhaft, poetisch. Für den Nutzer des Systems ist nicht erkennbar, welche seiner Antworten weiterführen und in welche Richtung sie steuern. Einige führen offensichtlich zum Abbruch des Dialogs. Die Themen spielen auch mit der möglichen Beziehung zwischen Frau und Betrachter einschließlich eindeutigem Flirtens. Einige Aussagen thematisieren darüber hinaus die Existenz der weiblichen Person ausschließlich in der Realität des Mediums. So wechselt Alltagskommunikation mit der Diskussion philosophischer Themen, Flirt mit ironischer Brechung.

Nach einiger Zeit der Interaktion wechselt der Akteur in einen zweiten Beobachtungsmodus: Betrachtete er anfangs die Frau, schlägt dies in Selbstbeobachtung um: Wie im Chat erprobt er spielerisch verschiedene Modelle für die eigene Reaktion im virtuellen Raum und beobachtet sich dabei selbst. In einer dritten Phase treten die ästhetischen Muster und kunstgeschichtlichen Darstellungstraditionen in den Blick. Das Werk wird zu einem Kommentar zur Frage der Möglichkeit eines Portraits im Medienzeitalter.

Didaktische Umsetzungsmöglichkeiten

Das Verfahren Courchesnes ist direkt auf eigene Portrait-Aufgaben im Unterricht übertragbar. Hier wäre es sinnvoll, zuerst die vorliegende Arbeit des Künstlers intensiv zu besprechen. Nach der genauen Analyse erfolgt die Wahl der zu portraitierenden Person und die Festlegung, ob diese selbst die Dialogpfade mitschreibt oder für den gemeinsam geschriebenen Text nur das jeweilige Bild liefert. Hypertext-Strukturen können mit jedem beliebigen HTML-Editor oder Multimedia-Autorenwerkzeug erstellt werden. Zu Beginn ist wohl auf Videoaufzeichnungen zu verzichten. Die Aufnahmen der Portraits - passend zum Text - sollte auf einer gründlichen Vorbereitung und Reflexion der Gestaltungsmittel erfolgen.

Ausführliche Darstellung: http://www.zum.de/Faecher/Materialien/ludwig/wagner/courchesne/courchesne.htm

Ernst Wagner