Wieskirche, Neuauflage 2005
von Reinhard von Tümpling

 

Barock/ Rokoko/ Wieskirche

Diese Arbeit ist eine Neuauflage in 2005, aufbauend auf einer älteren Datei. Ich habe hier einige Blätter eingebunden, um seitliche Aspekte und Weisen anzubieten. Die Erlaubnisscheine der Erziehungsberechtigten für die Abbildung der Schülerarbeiten der beteiligten M7-Klasse liegen real vor.


Bild: ansich_n.jpg zeigt die Gesamtansicht des Originalbauwerkes von Norden her,
wie jeder Besucher der Wieskirche in Steingaden sie sehen kann.

Das Thema kann bereichsübergreifend in der 7. Jahrgangsstufe Kunst (Hauptschule Bayern) angelagert sein. Ich habe es eingebunden in eine handlungsorientierte Arbeit mit dem Schwerpunkt des Modellbaus.
Bild: ansich_n.jpg ist die Gesamtansicht von Norden her.

Es kann und soll im Zusammenhang gesehen werden mit dem Lz. 6.4 "ein mittelalterliches Werk entsteht", mit dem Lz. 7.3 "Lebensbilder von Künstlern der Renaissance und des Barock" sowie mit Lz. 7.4 Erkunden und Erklären: Kunsthandwerk und Handwerkskunst.
An dieser Stelle sei dem Kollegen Henle für einige sinnstiftende Hinweise gedankt. Ebenso habe ich Msgr. Kirchmayer und Herrn Georg Rehm für die freundliche Rezension in 2003 zu danken.

Wie sehr bei der Einweihung der Wieskirche die Volksfrömmigkeit beachtet wurde, schildert das Prozessionsbild >wiesproz.jpg<, das am Fuße des kleinen Zugangsweges in der kleinen offenen Kapelle zu sehen ist.
Ein ähnliches Prozessionsbild ist im Eingangsvorbau der Wies selbst zu sehen.


Die sachlichen Netzadressen und -einträge zur Wieskirche bei Steingaden findet man unter:
http://www.steingaden.de/kirche_wies.htm
http://www.wieskirche.de/
www.her.nw.schule.de/pgherne/p-kult/wies.htm
www.fotomr.uni-marburg.de
http://www.zum.de/Faecher/G/BW/Landeskunde/bayern/kirchen/wies/
http://www.lvhswies.de/

http://www.umweltinitiative-pfaffenwinkel.de/d/karte.htm
die Karte dort entnommen:


Bild: pfaffenwinkel_1.jpg


Bild: pfaffenwinkel_3.jpg

 

 

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Das Thema kann auch gesehen werden unter dem geschichtlichen Aspekt der Säkularisation 1801-1804.

Der Rokokostil ist in seinen ersten Anfängen um 1725 in Paris zu beobachten. Die Kunstrichtung Rokoko entfaltete sich bis 1774. In Deutschland setzte sich der Rokoko um 1730 durch. Rokoko kommt von dem französischen Wort roc, rocaille = Felsgestein, Grotten - oder Muschelwerk, weil die Muschel in der Ornamentik des Rokokos eine sehr große Rolle spielt.
Rokoko ist charakteristisch für schwingende Formen. Die Gesellschaft suchte die Gemütlichkeit. Die schweren barocken Formen werden durch kleine, zierliche und kunstvoll geschmückte Formen abgelöst.
In den deutschen Prachtbauten der Fürstenschlösser in Würzburg, Bruchsal, Brühl, Wilhelmstall, Potsdam, Berlin Charlottenburg, Dresden, Ansbach, Schleißheim, Nymphenburg und München hat sich der Stil des Rokoko richtig entfalten können.

Sehr deutlich erkennt man das Rokoko in den Innenräumen. Im Vergleich zum Barock sind die Räume nicht mehr so groß. Die Wände werden in Pastellfarben gehalten.
Das Oval wird eine Lieblingsform der neuen Zeit.
Das Gesims, das einst die Decke so streng vom Raum schied, fällt ganz fort. Es läuft wohl noch als Hohlkehle oder dünnes Band von Wand zu Wand, von Tür zu Tür, seine architektonischen Bedeutung jedoch hat es eingebüßt. An dieser Stelle tritt die Malerei. Der Raum und die Decke verschmelzen in eins.

Die Ausstattung an den Wänden der Wallfahrtskirche ist mit Stuckmarmor versehen.
Stuckmarmor ist ein künstlicher Stein bei dem man von vorn herein Farbigkeit und Maserung bestimmen kann. Grundsubstanz ist ganz normaler weißer Stuck, der aus einem Gemisch aus Gips, Wasser und Sand besteht.

Der weiße Stuck kann einfärbt werden, indem man diverse Pigmente und Natursubstanzen beifügt, z.B. blaue aus Heidelbeeren, rote durch Ochsenblut und ähnliches. Es entsteht also ein sehr dicker Brei und dieser wird auf das Mauerwerk aufgetragen. Nachdem er getrocknet ist, wird er abgeschliffen bis eine glatt glänzende Oberfläche entsteht. Wie oft dieser Stuckmarmor abgeschliffen worden ist, weiß man nicht mehr. Klar ist, daß er an einigen Stellen "eierschalendünn" ist und immer wieder Gefahr läuft herauszubrechen.

Die Wallfahrtskirche in Wies bei Steingaden (Oberbayern; 1747) von Dominikus Zimmermann hat ein ovales Schiff, an das sich ein langer Chor anschließt.
Außen ist die Kirche, wie oft im Rokoko, ganz einfach in den Farben Gelb/Weiß gehalten, um so überraschender ist die Wirkung des Innenraumes.
Das architektonische Gerüst ist in einer Überfülle von Dekoration aufgelöst. Das Ganze ist ein wirbelndes Wellenspiel hellfarbiger Rokokoornamentik, das auch in das Deckengewölbe kräuselt.
Eine Besonderheit betrifft die geometrische Grundform: was ursprünglich als ovale Grundrissform angenommen wurde stellte sich bei der Vermessung im Rahmen der großen Renovierung als falsch heraus. Den Grundriss des Hauptschiffs bilden ein querliegendes Rechteck zwischen den beiden Seitenaltären mit hinten und vorne angesetzten verkleinerten Halbkreisen. Genauer beschrieben ist dies im Buch "Die Wies - Geschichte und Restaurierung", Arbeitshefte des bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege Nr. 55, auf S. 84.

Hier sieht man ganz deutlich dieses Merkmal des Rokokos, die Muschelformen bei der Raumgestaltung. Diese Muschelformen sind schnörkelhaft, unsymmetrisch und zeigen spitze Endbildungen. Sie widerspiegeln die eigenartige Wellung der Muschelfläche. Der Saum ist meist zackig oder in Tropfenform, manchmal auch wie eine lodernde züngelnde Flamme gebildet.

 

Durchgesehene Literatur:

Dominikus Zimmermann, Sixtus Lampl, Schnell & Steiner 1987, gut bebildert
Dominikus Zimmermann, Schnell & Steiner 1985 Katalog, ISBN-Nr. 3-7954-0631-5, Abb. S/W, gut bebildert, Schwerpunkt Biografie, sehr gut,
Die Wies, Hugo Schnell, Schnell & Steiner, 1979, ISBN 3-7954-08121, Abb. Fa. u. S/W, gut bebildert, Schwerpunkt Übersicht, 143 S.
Johann Baptist und Dominikus Zimmermann, Hermann und Anna Bauer, Friedrich Pustet Regensburg, ISBN 3-7917-0918-6, 1985, großformatig, Fa. u. S/W, sehr gut fotografiert,

Die Wies, Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, 1992, Lipp-Verlag München, ISBN 3-87490-518-7, 568 S. dt./engl., 149.- DM, präzise und exemplarische wissenschaftliche Dokumentation anlässlich der Restaurierung 1985-1991, bestens bebildert, sehr empfehlenswert.


Unterrichtlich war für mich als Lehrer die Form der inneren Kuppel und der umlaufende Kranz von stichkuppenartigen Gewölbeteilen wegen des Raumgefühls im Barock und Rokoko wichtig, denn das Video der Kreisbildstelle hat seinen Schwerpunkt in der Malerei, welche den realen Raum wieder völlig auflöst zugunsten einer bildhaften Zitatesammlung der Theologie und es schildert danach die Wallfahrten.

Methodisch habe ich zuerst den Grundriss nachkonstruiert, um dann anhand von frei verfügbaren Fotos die Höhe des Modells festzulegen. Rein technisch ist das Modell in der Größe konstruiert auf eine Styroporplattendicke von 60 Millimetern zur Darstellung des Mauerwerkes der Wand.

Auf dem Grundriss und auf dem Querschnitt aufbauend habe ich modellhaft die Teile der Kuppelkonstruktion nachempfunden, um zumindest dem Wesen des Originalbaues nahe zu kommen und um ein unterrichtlich praktikables Modell zu erhalten.
Anschließend habe ich die Explosionszeichnung durch Export nach AutoCAD Lt konstruiert, die isometrische extrudierte Ansicht wieder nach AutoSketch 2.1 exportiert, die Elemente aufgelöst und neu in der Reihenfolge des Modellbaues zusammengestellt.


Bild: Wies_a_47.jpg:
die Explosionszeichnung der methodischen Reihenfolge des Modellbaues

Mit den beiden Blättern des Grundrisses lässt sich eine ganze Stunde bestreiten: OH-Folie auflegen, Mauerwerk schraffieren lassen, Fenster und Türen aussparen. Erheblich schwieriger wäre das Schraffieren des Originalgrundrisses, auf dem noch die Breite des Fundamentes eingezeichnet ist.

Es empfiehlt sich vielleicht, das Video der Kreisbildstelle etwa die ersten 20 Minuten von insgesamt 45 Minuten parallel durchlaufen lassen, um die Entstehungsgeschichte der Wieskirche schildern zu lassen und um die Ursache der Volksfrömmigkeit zu zeigen.

Die Konstruktionen der Einzelteile

 


Bild: wies_2_39.jpg: die Grundlage, der Grundriss, Zusammenschau

 


Bild: wies_2_40.jpg: Kapellen-Teile, Chor-Innenraum


Bild: Wies_2_41.jpg: die Firstpfetten

Bild: Wies_2_42.jpg: die Oberkante des Mauerwerkes und das Abschluss-Formteil zum Dachstuhl hin, zugleich Styropor- Schneideschablone

Bild: Wies_2_43.jpg: die gebohrten Kapitell-Teile, fertigungsgerecht

Bild: Wies_2_44.jpg: die Kuppelplatte

Bild: Wies_2_45.jpg: die Bogenschablonen des umlaufenden Gewölbe-Randes

Bild: Wies_2_46.jpg: die Bogenformen von Kapitell zu Kapitell

Bild: Wies_2_48.jpg: die Bodenplatte, die Sperrholz-Arbeitsgrundlage...

Bild: Wies_2_49.jpg: die Kuppelviertelbögen und die Zentrierhilfe zum Einsetzen der Säulen ins Modell (ist später wegzuschneiden...)
Zum Verkleben der Bauteile benutzten die Schüler Vielzweckkleber ohne Lösungsmittel.

 

Die Blätter dazu:

 


Wies_a5.jpg:
der Seitenriss im Schnitt; wichtig war mir unterrichtlich eigentlich nur die
farbig ausgemalte Kuppel zur Verankerung der Vorstellung

Wies_a6.jpg:
die Schnittansicht nach Osten hin mit farbiger Kuppel

Wies_a7.jpg:
die Fassadenansicht der Seite: pastell-artige Farben in ihren zarten Schattierungen und Tönungen

Der methodische Einschub:


Bild: Wies_a1.jpg: ich habe einige fleißige Schüler auf Packpapier die OH-Folie nachmalen lassen, als Plakat für die Rückseite des Klassenzimmers...


Handwerkliche Zwischenschritte:


Bild: Styropor.jpg:

Ich bin bei der Teilevorfertigung vo 30 mm dickem Styropor ausgegangen, habe das Sperrholz-Formteil mit dünnen Nadeln daraufgepinnt und habe es dann mit dem Styroporschneider nachgeschnitten. Zu beachten waren die schräge Vorspannung ......


Bild: Wies_11.jpg:

mit diesem Plastostift konnten die Schüler die Fenster einstechen und „heraus“schneiden


Der unterrichtliche Modellbau:


Bild: modell_3.jpg: zeigt die Bodenplatte mit Säulen, Basen, Kapitellen und den nötigen Zentrierkranz (Schj. 2002-2003)

Bild: modell_7.jpg: ebenso....

Bild: Wies_a2.jpg: der Umgang mit dem Zentrierring und das Ausmalen

Bild: Wies_a3.jpg: etwas beengende Verhältnisse

Bild: Wies_a9.jpg: die methodische Zusammenstellung

Bild: Wies_a12.jpg: ein hübsches Modell ist im Entstehen

Bild: Wies_a14.jpg: der Beginn des Eindeckens

Bild: Wies_a16.jpg: eine interessante ganz andere Lösung

Bild: Wies_a17.jpg: ein sehr konzentrierter Schüler

Bild: Wies_a19.jpg: ein fertiges Modell....

Bild: Wies_a20.jpg: zusammengestellt

Bild: Wies_a21.jpg: Anschauungsmodell

Wer die Wieskirche unterrichtlich anders angehen möchte:

 


Bild: Wies_2_38 Legendenkarte zu den Malereien


Bild: Wies_2_37.jpg: der historische Grundriss aus Schongau

 


Bild: Wies_a_38.jpg: Seitenansicht der Fenster, Schülerarbeitsblatt, Tischvorlage



Bild: Wies_a_40.jpg: die Tischvorlage des Grundrisses (Schnitt schraffieren lassen), mit Beziehungsfähnchen

Bild: Wies_a_42.jpg: Seitenansicht und Längsschnitt (in einem Blatt)

Bild: Wies_a_44.jpg: Querschnittsansicht nach Osten hin (Dachgebälk und Kuppel)

Bild: Wies_a_46.jpg: ein Kapitell (vorne rechts, die Balkenunterkonstruktion). Wer das Original zu vergleichen sucht, kann sich mühsam tatsächlich unter den Kapitellen Balkenkonstruktionen vorstellen.


Bilder des letzten Besuchs im Sept. 2005 :

 


Bild: Wies_2.jpg: die Ansicht von Norden her

 


Bild: Wies_2_3.jpg: Der Eingangsvorbau


Bild: Wies_2_4.jpg: die seitlichen Außenfenster

Bild: Wies_2_2.jpg eine Seitenwange der Sitzbänke

Bild: Wies_2_5.jpg der Ausblick als Deckengemälde....

Bild: Wies_2_8.jpg: der Anblick zum Übergang vom Chor zum Mittelschiff

Bild: Wies_2_10.jpg: der Blick in die Decke des Altarbereichs, die in Säulen gegliedete Deckenform geht hier weiter, vom Foto aus räumlich nur schwerer verständlich

Bild: Wies_2_12.jpg: die Kanzel

Bild: Wies_2_19.jpg: das Detail eines Kapitellaufsatzes

Bild: Wies_2_15.jpg: der gegeißelte Heiland

 


Bild: Wies_2_18.jpg: die Orgel

 


Bild: Wies_2_35.jpg: die Innenansicht auf den Altar, zusammengesetzt

 


Bild: Wies_2_36.jpg: die südliche Seite (im Winter, ein Ausflug.... )

 


Bild: Wies_2_33.jpg: Die freie Aussicht nach Süden, in der warmen Spätsommersonne eines Nachmittags.


Nachbearbeitung aus: Barock, S. 1. Digitale Bibliothek Band 22: Kindlers Malerei-Lexikon, S. 10377 (ein Nachsatz zur Würdigung)

Barock
(Nach port. M barocco, Steinchen, unregelmäßige Perle, und davon abgeleitetem engl. und franz. Adj baroque, schiefrund, ausgefallen, sonderbar; danach ital. adj barocco, dt. barock.

Die Bezeichnung »barock«, die im 18. Jh. nur in abwertendem Sinn für eine vom Rationalismus der Aufklärung als schwülstig empfundene Formenwelt und Ausdrucksweise gebraucht wurde, bürgerte sich erst in der 2. Hälfte des 19. Jh.s als kunstgeschichtlicher Form- und Stilbegriff für die der Renaissance folgende Epoche ein, die bis dahin meist als Zeit des des Naturalismus bezeichnet wurde.

Der europäische Barock im engeren Sinn ist eine Stilwelle, die im 16. Jh. von Italien ausgeht und im 17.-18. Jh. mit regionalen Verzögerungen und Sonderentwicklungen in der europäischen Kunst und ihren Einflußgebieten, also auch in den von der katholischen Mission erfaßten überseeischen Ländern, durchdringt; man unterscheidet dabei Frühbarock, Hochbarock und eine Spätphase, die in das Rokoko übergeht.

Voraussetzungen
Die Barockkunst wird heute vornehmlich als die Selbstdarstellung des Absolutismus verstanden, als Ausdruck der noch durchwegs solidarischen und nicht angezweifelten weltlichen und kirchlichen Autorität. Tatsächlich trägt die barocke Repräsentationskunst unverkennbar propagandistische Züge, sie dient weithin der Bestätigung und Verherrlichung des Machtanspruchs und des Selbstbewußtseins ihrer Auftraggeber. Auch ist die Barockkunst in einem vorher nicht gekannten Ausmaß öffentliche Kunst: Sie streift in ihren reifen Phasen jeden formalen Eklektizismus ab, bedient sich aller Mittel der Illusionierung und sucht das öffentliche Schauspiel.
In den katholischen Regionen oder in reicheren Residenzen, wie Dresden und Berlin, faßt der neuere Stil leichter Wurzeln. Das Bedürfnis kirchlicher und weltlicher Gewalten nach Zurschaustellung konnte diese Stilwelle nur annehmen und steigern, indem es sich ihrer bediente.
Der tragende Grund dieser Kunst ist ein neues Verhältnis zur Natur, ein alle Bereiche des Denkens erfüllendes Bekenntnis zum Realismus und zum Experiment, das in der Neuorientierung zum empirischen Denken eindrucksvoll sichtbar wird.
Die Denkstrukturen des Mittelalters werden entschieden revidiert, ebenso die daraus abgeleiteten ästhetischen Positionen; schon Künstler der Hochrenaissance, voran Leonardo da Vinci, begründen im Zuge dieser Entwicklung den Standpunkt, daß auch der Maler mit wissenschaftlichen Methoden zu arbeiten habe.
Das hieß zunächst eine Betonung des Naturstudiums und eine Abkehr von vorgebenden Zwängen hin zur Übereinstimmung mit der sichtbaren Wirklichkeit, also in die Wand- und Deckenmalereien barocker Kirchen und Paläste.

Im Hoch- und Spätbarock entfaltet sich dieser Bauwille in Palästen mit aufwendigen Treppenläufen und lang hingestreckten Fronten, denen meist ein weiter Platz, ein nicht weniger ornamental angelegtes Gartenparterre und Parks mit Wasserspielen vorgelagert sind (Versailles, das Belvedere in Wien, Pommersfelden, Schleißheim).
Diese Architektur trägt die Tendenz zum Gesamtkunstwerk in sich, sie neigt zur Eingliederung von Skulptur und Malerei und diese haben den Raum illusionistisch zu erweitern.

Diese funktionelle Bindung an die Architektur läuft aber keineswegs auf ein Diktat hinaus, vielmehr folgt die Bautechnik den Intentionen der Malerei in erstaunlichem Maß, etwa durch die Schaffung großer, ungegliederter Deckenspiegel, auf denen die Malerei gewaltige Prospekte entwerfen kann. So trennt sich schon im 16. Jh. die Entwicklung des Freskos von der des Tafelbilds, das im Grad der Illusionierung zuletzt hinter der Wand- und Deckenmalerei zurückbleibt.

Der Weg zur großen Malerei des barocken Zeitalters beginnt inner- und außerhalb der funktionellen Bindung zunächst als Abkehr vom strengen rationalen Realismus der Renaissance-Malerei.
Diese ungebundene Realistik verbindet sich mit leidenschaftlicher Bewegung und mit der Dynamik weit ausholender Gesten und Posen.
Die Komposition bleibt nicht mehr auf wenige Achsen und eine klar definierte Raumebene bezogen, sondern greift übergangslos nach allen Richtungen aus und wird tief in den Bildraum hineingetrieben; der neue Realismus läßt sich nicht mehr in die Schemata einer idealen Struktur zwingen, er will sich in großen, illusionistischen Szenerien ausleben.

Michelangelo hatte die Möglichkeiten raumfüllender Gebärden angedeutet, etwa in den Deckengemälden der Sistina, Giorgione, Tizian und Tintoretto hatten sich zur Psychodramatik des Lichts bekannt, Correggio und nach ihm Barocci zum weichen, schmeichelnden Spiel des Helldunkels auf der formalen Struktur. Die Manieristen schöpfen diese Möglichkeiten ebenso aus wie ihre Gegenspieler, die gegen Ende des 16. Jh.s auftreten, und er wirkt als artistische Errungenschaft noch bei Franz Hals oder Rembrandt und bei dem Franzosen Georges de la Tour nach.

 

 

Rokoko
(fr. rocaille, Haufen kleiner Steine, Muschelwerk)
Wie die meisten Stilnamen, von der Gotik bis zum Impressionismus, wurde auch das Wort Rokoko, zum erstenmal in den 30er Jahren des 19. Jh.s, erst einmal im abwertenden Sinn, angewandt, seltsamerweise gerade in dem Augenblick, da der Stil selbst im sog. »Zweiten Rokoko«, in Frankreich mit der Wiederherstellung der Monarchie »Louis Philippe« genannt, seine überraschende Wiedergeburt erlebte.

Im Grunde ist das Rokoko überhaupt kein eigener Stil, eher eine Dekorationsform, die Verlängerung des Barock ins Kleinteilig-Kapriziöse, Formelhafte und ein wenig Blutarme.
Aus dem schweren pathetischen Architekturornament, dekorative Markierung der Bauelemente und Baufunktionen, wird ein asymmetrisch über Wände und Decken gezogenes freischwingendes Flächenornament aus muscheligen, knorpeligen und gittrigen Formen, ferne Erinnerung an das Knorpelwerk der Renaissance und dessen groteske Kapriolen, garniert mit Putten und Palmen, Blüten, Schilf und Büschen. Und das alles in vergoldetem und versilbertem Stuck, durch Malerei und Tapisserie ergänzt.

Jedenfalls ist das Asymmetrische, schräg in die Fläche Gewehte, der »Wellenschlag« des Ornaments ein Kennzeichen aller echten Rokokodekoration, der die Aufgabe zugeteilt ist, Schwere und Statik der gebauten Form optisch aufzuheben und zu verschleiern.

Welche Erscheinungen unter dem Sammelbegriff Rokoko zusammengefaßt werden, sagen Namen wie Watteau und Mozart, Boucher und J. J. Rousseau, der junge Goethe und Fragonard, die Pompadour und Joseph Haydn, Guardi und der Porzellankünstler Bustelli. Aber auch J. S. Bach und Diderot, Lessing und Balthasar Neumann gehören der Epoche an, die von Anfang an gespalten erscheint.

Das einheitliche Stilbild zerfällt, künstlerische Ziele und Ausblicke werden immer verschiedener. Gegensätzliches, das die gestalterischen Pointen schafft, stößt dabei pikant aufeinander. Während z. B. in der kirchlichen Architektur vor allem Süddeutschlands das Raumensemble in immer neuen Kuppeln, Gurten und Wölbungen sich in kühnen Konstruktionen steigert, erweitert und dehnt, werden diese Raumschalen von einem unangemessen leichtfertigen Ornamentgekräusel in Stuck umspielt, ihre großen Flächen werden architektonisch entwertet, mit bunten Theaterauftritten von Himmel- und Erdebildern überzogen.
Die Architektur wird zur Kulisse und die Kuppel zum Rundhorizont, die Dekoration hebt die Statik auf und verschiebt das Erlebnis ins Illusionäre, Fata-Morganahafte.

Dieses Gegeneinander von Wirklichkeit und Illusion, wie es die Architektur zeigt, durchdringt auch die Gesellschaft. Neben den Hof mit seinen Riten und Formeln, seinen Menschenmarionetten und seinem Zeremoniell, das »Standespersonen« stanzt und die menschliche Physiognomie entpersönlicht, tritt - im Lauf des Jahrhunderts sich immer stärker konturierend - der private Bürger, der auf die prägende Kraft von Mode, Stil und Gesellschaftsnorm verzichtet, mit dessen neuer »Freiheit« sich aber zugleich auch schon der kommende Verlust an Bindung andeutet, der im 19. Jh. (das wiederum eine neue, materialistisch orientierte, Hierarchie bringt) zur kulturellen und gesellschaftlichen Krise führen wird.
Das Schwergewicht der Malerei liegt eindeutig bei Frankreich und England, obwohl auch Italien noch Wesentliches von hohem Rang beisteuert, während Deutschland mit seinen Deckenfresken, die die Kuppeln der Kirchen ins Unendliche weiten (z. B. Maulbertsch, Rottmayr) seinen bedeutenden Beitrag zur Malerei des Jh.s leistet.
Ein neuer Klang, soziologisch so wenig ins künstlerische Gefüge des Jh.s einzuordnen wie Beethovens Tuttischläge in die endlosen spielerischen Musikgirlanden der Hofkonzerte, Suiten und Serenaden: die revolutionäre Malerei des Spanier Francisco Goya, der nicht Schäferspiele und gepuderte Dekolletés, sondern Aufstand und Empörung malt, dem die Landschaft eines Gesichts nicht zur gesellschaftlichen Maskierung, sondern zur ingrimmigen Entlarvung dient, ein Genie, das im echtesten Rokokostil mit ein wenig grellen Genreszenen begann, als Entwürfe für Wandteppiche gefertigt, das den Einbruch der kalten Römermoral der Französischen Revolution und des Klassizismus unberührt übersteht und die Fackel echter Malerei ins 19. Jh. an die Géricault, Delacroix und Daumier weiterreicht.

 

 

Zimmermann, Johann Baptist
* 3.1.1680 in Gaispoint bei Weilheim (Oberbayern), Begraben am 2.3.1758 in München
(Nachbearbeitung aus: Digitale Bibliothek Band 22: Kindlers Malerei-Lexikon, S. 9921 vgl. KML Bd. 5, S. 829-830)

Für die Prägung der Persönlichkeit Zimmermanns war seine Abstammung aus dem Hinterland von Wessobrunn mitentscheidend. Jene Gegend, wo schwäbisches und bayerisches Alpenvorland einander berühren, brachte im Barock eine ungewöhnlich große Anzahl von Künstlern hervor. Zimmermanns eigentliche künstlerische Ausbildung erfolgte in Augsburg. Kennzeichnend für ihn ist jene ebenfalls barock zu nennende Doppelbegabung, die ihn befähigte, sich sowohl als Stukkateur wie andererseits auch als Fresken- und Altarblattmaler zu betätigen. Er war der ältere Bruder des Architekten und Stukkateurs Dominikus Zimmermann (1685-1766), der die Wieskirche erbaute. Fast immer arbeiteten beide Meister zusammen, vergleichbar der Tätigkeit, welche die Künstlerbrüder Cosmas Damian und Egid Quirin Asam miteinander verband.
Bis 1720 war Johann Baptist Zimmermann fast ausschließlich als Stukkateur tätig. Durch Kurfürst Max Emanuel wurde er im selben Jahre an den bayerischen Hof berufen, um in den Schlössern in Schleißheim und in Nymphenburg sowie in der Residenz zu
München Stukkaturen auszuführen; 1729 wurde Zimmermann zum »Hof-Stuccateur« ernannt. Erst seit den 20er Jahren begann er seine meist auf kirchlichem Gebiet nachweisbare, uns hier in erster Linie interessierende Tätigkeit als Freskant und weniger häufig, als Altarblattmaler.
Obwohl er ein Zeitgenosse von Cosmas Damian Asam war, erwies er sich bereits bei der Ausführung der Fresken von Steinhausen 1730-31 als ein Maler, der stilistisch schon damals der Stilstufe des Rokokos zuzurechnen ist. Er verfügte über eine helle Farbskala, die von lichtem Beige über Rosa, Orange, Lila, Hellviolett und hellem Kobaltblau zu sattem Dunkelbraun und leuchtendem Dunkelgrün führt. Sie verbindet sich harmonisch mit einer lockeren, gleichsam schwebenden und völlig schwerelosen unakademischen Kompositionskunst. Besonders auffallend ist seine naive und unbefangene Kunst des Erzählens, was ihn als einen der führenden Freskenmaler des süddeutschen Rokokos ausweist. Zu seinen bedeutendsten Leistungen zählen zwei Werke aus seiner Spätzeit: die Fresken der Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland in der Wies bei Füssen und die koloristisch besonders anziehenden Deckengemälde im Großen Saal des Nymphenburger Schlosses. Wann immer man von deutschem Rokoko als einer Sonderleistung innerhalb der europäischen Kunst dieser Zeitperiode spricht, dann wird man auf dem Gebiet der Freskomalerei Johann Baptist Zimmermann zweifellos an erster Stelle zu nennen haben.

Werkauswahl:
- Allegorie auf die Gründung von Nymphenburg, vor 1756, Leinwand, 160×116 cm.
Augsburg, Städtische Kunstsammlungen.
- Allegorie auf die Gründung von Nymphenburg (Deckenfresko), 1756-57, Fresko.
München, Schloß Nymphenburg, Großer Saal.
- Christus auf dem Regenbogen als Weltenrichter, umgeben von Engeln und Aposteln, 1753-54, Fresko.
Wies (bei Füssen), Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland, Hauptraum.
- Christus bei Maria und Martha (Deckenfresko), um 1720, Fresko.
Siessen (bei Saulgau, Württ.), S. Markus.
- Das Kloster wird durch den Hl. Augustinus empfohlen (Deckenfresko), Fresko.
Dietramszell, Kirche Mariä Himmelfahrt, Hauptraum.
- Der Gründer Dietram vor dem Hl. Augustinus mit Ansicht des neuen Klosters (Deckenfresko), Fresko.
Dietramszell, Kirche Mariä Himmelfahrt, Hauptraum.
- Die Hl. Katharina wird von einem Engel gespeist (Deckenfresko), um 1720, Fresko.
Siessen (bei Saulgau, Württ.), S. Markus.
- Dreifaltigkeit, 1744, Fresko.
Dietramszell, Kirche Mariä Himmelfahrt, Chor.
- Einkleidung des Hl. Norbert, Fresko.
Schäftlarn (bei München), S. Dionys und S. Juliana, Chor.
- Engel mit dem Kreuz Christi vor Gottvater, 1733-34, Fresko.
Wies (bei Füssen), Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland, Chor.
- Gründung Schäftlarns durch Bischof Otto von Freising und dessen Bruder Herzog Leopold, 1754-56, Fresko.
Schäftlarn (bei München), S. Dionys und S. Juliana, Hauptraum.
- Himmelfahrt Mariä, 1745, Leinwand.
Dietramszell, Kirche Mariä Himmelfahrt, Hochaltar.
- Kreuzigung Christi (Deckenfresko), Fresko.
Freising-Neustift, Hauptraum.
- Szenen aus dem Leben des Hl. Michael (Deckenfresko), 1744, Fresko.
München-Berg am Laim, S. Michael.
- Szenen aus dem Leben des Hl. Michael (Deckenfresko), 1754-55, Fresko.
Andechs (bei Starnberg), Kirche Mariä Verkündigung.
- Szenen aus dem Leben Maria (Deckenfresko), 1734, Fresko.
Landshut, Zisterzienserinnenklosterkirche Seligenthal.
- Szenen aus dem Leben Mariä (Wand- und Deckenfresken), Fresko.
Steinhausen (bei Schussenried, Württemberg), S. Peter und S. Paul.
- Übergabe des Rosenkranzes an den Hl. Dominikus und Verehrung der vier Erdteile (Deckenfresko), um 1720, Fresko.
Siessen (bei Saulgau, Württ.), S. Markus.
- Verehrung der drei wunderbaren Hostien (Deckenfresko), 1754-55, Fresko.
Andechs (bei Starnberg), Kirche Mariä Verkündigung.
- Verehrung Gottes durch Engel (Chor), 1730-31, Fresko.
Steinhausen (bei Schussenried, Württemberg), S. Peter und S. Paul.
- Verleihung des Skapuliers durch Maria an den Hl. Norbert, 1756, Fresko.
Freising-Neustift, S. Peter und S. Paul, Chor.

 

Nachbemerkungen:
Diese Datei ist auch als ein „Reiseweg zur Kunst“ beabsichtigt. Ich versuche, neben der sachlichen Beschreibung dieses Kirchenbesuches auch einige seitliche Bemerkungen zum kreativen Prozess an sich zu machen. Es waren auch hier Entscheidungen beteiligt in der zeitlichen Reihe zur Klärung eines Vorgangs und Vereinbarungen bahnen sich an: Treffen, Objekte und Vorhaben, kleine Feiern, Linien, Fächer, Verknüpfungen, Gesamtstrukturen, Spreizungen...
Ich saß in einer Bankreihe, suchte Bekanntes, fand die stillen bewundernden und langsam herumgehenden Besucher. Ich bin im Seitenflügel des Chores nach vorne rechts gegangen und habe mir die kleinen Votivtafeln und Zettel angesehen.

Reinhard von Tümpling, Oktober 2005