Sigurd

Siegfried (in nordischen Sagen auch Sigurd) ist eine Sagenfigur verschiedener germanischer Sagenkreise, insbesondere der Nibelungensage. Wesentliche Elemente der Siegfried-Gestalt sind übermenschliche Kräfte, die Tötung eines Drachen, mit der in einigen Sagenversionen die Gewinnung eines großen Schatzes verbunden ist (hauptsächlich in nordischen; aber z. B. nicht im Nibelungenlied, in dem Horterwerb und Drachenkampf verschiedene Abenteuer sind) und seine Ermordung (im Nibelungenlied durch Hagen von Tronje; in einigen nordischen Überlieferungen durch Gottorm). Seine Biographie wird in allen anderen Elementen von den einzelnen Dichtungen, in denen er auftritt, stark unterschiedlich gestaltet; also sowohl seine Herkunft als auch der weitere Verlauf seines Lebens, die Gründe für seine Ermordung und den Ort des Mordes ebenso die von ihm benutzten magischen Requisiten (z. B. benutzt er nur im Nibelungenlied einen Tarnmantel, die sogenannte ‚Tarnkappe‘).

 

Siegfried in der nordischen Sagenwelt

Die nordischen Sagen mit Sigurd sind zwar erst in jüngeren schriftlichen Aufzeichnungen erhalten als das Nibelungenlied, gehen aber zum Teil auf ältere Vorlagen zurück.

Der Siegfried des Nibelungenliedes, der dort aus Xanten am Niederrhein stammt, heißt in den nordischen Versionen der Nibelungensage Sigurd und stammt in den meisten von ihnen aus dem Heldengeschlecht der Wälsungen. Er galt im 18. Jahrhundert als Hauptheld der nordischen Sage. Bekannt ist vor allem eine Beschreibung Sigurds, die sowohl in die (altnorwegische) Thidreks saga als auch in die (isländische) Volsunga sage aufgenommen wurde: Er ist groß, besitzt gewaltige Kräfte, strahlt in voller Jugendschöne; seine Augen sind so scharf, dass niemand hineinsehen kann; er ist sehr voraussichtig, redegewandt und auf das Wohl seiner Freunde bedacht, hat niemals Furcht gekannt. Früher Tod, aber der höchste Ruhm sind ihm vom Schicksal beschieden.

Er erscheint auf Bilddarstellungen ab der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts, ausgehend von Schweden, und in Dichtungen, die ab dem 13. Jahrhundert niedergeschrieben wurden.

Sigurd in der Liederedda

Folgende Eddalieder behandeln Sigurd:

Grípisspá ('Die Weissagung des Grípir'): Sie ist den Sigurdliedern als eine Art Inhaltsangabe vorangestellt, in der Form, dass der junge Sigurd von einem (sonst nirgends genannten) Mutterbruder Grípir sein ganzes Leben in Form einer Weissagung vorauserzählt bekommt. Für die Forschung ist es interessant, weil dieses Lied von nur ca. 50 Strophen es nicht schafft, die Geschichte Sigurds widerspruchslos zu erzählen: Die einzelnen Lieder erzählten die Sage so unterschiedlich, dass es um 1200, als die Grípisspá vermutlich entstand, schwer fiel, eine zusammenhängende in sich nicht widersprüchliche Geschichte von Sigurds Leben zu erzählen.

Jung-Sigurd-Komplex: Ein langer, zusammenhängender Abschnitt der Liederedda, gemischt aus Versen in verschiedenen Strophenformen und zwischendurch Abschnitten in Prosa, der von neuzeitlichen Herausgebern ohne Stütze in der Handschrift in drei Lieder unterteilt und mit folgenden Einzeltiteln versehen wurde: Reginsmál ('Das Lied von Reginn'); Fáfnismál ('Das Lied von Fáfnir') und Sigrdrífumál ('Das Lied von Sigrdrífa'). Der Schluss dieses Liedes ist nicht erhalten.

Darauf folgt die Eddalücke: Aus der Handschrift der Liederedda wurde einmal eine ganze Lage herausgerissen; diese Blätter sind uns verloren. Dass die Volsunga saga diese Lieder noch benutzte, ist nur ein schlechter Ersatz dafür.

Sigurd ist Sohn des Sigmund und der fränkischen Königstochter Hjordís. Nach dem Tod Sigmunds heiratet Hjordís einen Sohn des fränkischen Königs Hjálprek (der Name entspricht fränkisch Chilperich). An dessen Hof wächst Sigurd auf und wird von einem Ziehvater, dem kunstfertigen und zauberkundigen Schmied Reginn, in allerhand Künsten unterrichtet. Reginn erzählt Sigurd von dem verhängnisvollen Goldhort aus Otrs Buße: Die Götter Odin, Hönir und Loki hatten einen Fischotter erschlagen, der am Ufer eines Flusses einen soeben gefangenen Lachs zu verzehren begann. Die Götter hatten vor, Otter und Lachs zum Abendessen zu braten. Zu diesem Zweck kehrten sie bei einem Bauern namens Hreidmar ein. Der erhob sofort Totschlagsklage gegen die Götter: sie hatten keinen gewöhnlichen Fischotter getötet, sondern Otr (‚Otter‘), einen der Söhne Hreidmars, der die Gestalt seines ‚Sympathietieres‘ anzunehmen pflegte, um sich Nahrung zu fangen. Um die Totschlagsbuße zahlen zu können, mussten die Götter das Gold eines Zwergen rauben, darunter einen magischen Ring, der den Schatz vermehren konnte. Als Loki dem Zwergen, Andivari, auch den Ring entriss, verfluchte Andvari seinen Ring, er solle jedem zukünftigen Besitzer den Tod bringen. Odin, der höchste Gott, wollte den Ring behalten, musste ihn aber zur Otterbuße legen. Der Fluch des Ringes zeigte sich sofort daran, dass Hreidmar den Schatz für sich behalten und seinen beiden anderen Söhnen, Reginn und Fafnir, nichts davon gönnen wollte. Reginn und Fáfnir töteten ihren Vater, doch Fáfnir nahm allein den ganzen Hort, ohne mit Reginn zu teilen, setzte sich einen Schreckenshelm auf, verwandelte sich in einen Drachen und legte sich so auf die Gnitahheidör, den Schatz zu bewachen. Reginn reizt nun Sigurd auf, Fafnir zu töten, um des Schatzes habhaft zu werden. Sigurd will erst seinen Vater an den Söhnen Hundings, der Sigmund tötete, rächen. Sigurd wählt sich aus Hjálpreks Gestüt den Hengst Grani, Reginn schmiedet ihm das Schwert Gram und nun vollzieht Sigurd die Vaterrache; darauf tötet er Fáfnir, indem er eine Grube auf dem Weg gräbt, auf dem Fáfnir zum Wasser zu kriechen pflegt, um zu trinken. Aus der Grube heraus ersticht er Fáfnir mit dem Schwert von unten. Der Sterbende warnt ihn noch vor dem Fluch des Goldes. Reginn bittet nun Sigurd, Fáfnirs Herz für ihn zu braten, denn es ist ein alter Glaube, dass man so den Mut des Verstorbenen annehmen könne. Als Sigurd Fáfnirs Herz brät, probiert er mit dem Finger, ob es schon durchgebraten sei; dabei verbrennt er sich den Finger und steckt ihn in den Mund. Als Fáfnirs Blut ihm auf die Zunge kommt, versteht er die Sprache der Vögel, und er versteht, wie Spechtmeisen (Kleiber) ihn warnen, dass Reginn ihn töten wolle. Er solle lieber auch Reginn erschlagen und den Schatz selbst an sich nehmen. Um das Gold könne er sich eine Braut kaufen, und zwar die Tochter des Gjúki. Auf dem Weg dorthin werde er auf den Hindarfjall (‚Berg der Hinde [Hirschkuh]‘) kommen; dort stehe eine von Feuer umgebene Burg; in ihr schlafe eine Walküre, die Odin zur Strafe mit dem Schlafdorn gestochen habe, weil sie andere Krieger gefällt hatte, als er befohlen hatte. Nun erschlägt Sigurd Reginn, belädt Grani mit dem Schatz, nimmt auch die Rüstung Fáfnirs an sich und reitet fort.

Weiter südwärts Richtung Franken ziehend, sieht er auf dem Hindarfjall ein großes Licht, als ob dort ein Feuer brenne. Als er hinkommt, steht dort aber nur ein Schildzaun und darauf eine Fahne. Innerhalb desselben liegt, glaubt er, ein voll gerüsteter schlafender Mann. Er nimmt ihm den Helm ab und sieht, dass es eine Frau ist. Da versucht er, ihr die Rüstung auszuziehen, doch diese ist wie festgewachsen. Da zerschneidet er sie mit dem Schwert. Nun erwacht sie und nennt sich Sigrdrífa (‚Siegtreiberin‘); das ist ein zu einer Walküre passender Funktionsname. Da in der Snorra Edda dieselbe Erzählung enthalten ist, nur mit dem Unterschied, dass die Erweckte dort Brynildr heißt, ist unklar, ob Sigrdrífa der Name aus einer älteren nordischen Sagenform ist, oder eine Art ‚Funktionsname‘ der Walküre, die tatsächlich Brynhild geheißen haben könnte. Da der Schluss des Liedes in die ‚Eddalücke‘ fällt, könnte dort der Name „Brynhild“ gefallen sein. Sigrdrífa hatte gegen Odins Willen einem Helden Sieg verliehen, so dass Odin sie verurteilt, sie solle nie wieder Sieg erfechten im Kampf, sondern sich vermählen. Dazu sticht er sie mit einem Schlafdorn; dem Mann, der sie erweckt, solle sie gehören. Sie entgegnet, sie habe einen Eid abgelegt, sie werde sich keinem Mann vermählen, der sich fürchten könne. Sigurd bittet sie nun, ihm Zaubersprüche zu sagen, falls sie solche kenne, und sie zählt eine Reihe von Strophen hindurch verschiedene Formen von Runenzauber auf, die gegen bestimmte Krankheiten und Gefahren schützen sollen. Damit bricht das Lied ab. Ob danach eine Verlobung folgte, wissen wir daher nicht.

Nach der Eddalücke setzt das Brot in der Beratung vor dem Mord an Sigurd ein; wir erfahren jedoch in Rückblenden einiges über die verlorenen Lieder.

Als nun Gunnar um Brynhild freien will, unterstützt Sigurd ihn dabei. Da Gunnar nicht durch die Waberlohe reiten kann, wechselt Sigurd mit ihm die Gestalt (dazu benutzt er den Ögishelm), vollbringt es und gewinnt Brynhild, bei der er drei Tage weilt, aber des Nachts sein blankes Schwert zwischen sich und die Jungfrau legt, angeblich weil ihm so beschieden sei, die Verlobung zu feiern, sonst ereile ihn der Tod. Er nimmt ihr den Ring Andwaranaut dabei wieder ab, kehrt dann zu seinen Gesellen zurück, wechselt wieder die Gestalt, und Gunnar führt Brynhild heim. Als eines Tages Brynhild und Gudrun baden, entsteht ein Wettstreit zwischen den Frauen, bei dem Gudrun die Brynhild damit höhnt, dass Sigurd sie überwunden habe und ihr zum Zeugnis den Andwaranaut zeigt. Als Brynhild erfährt, dass sie getäuscht worden ist, will sie unbedingt an Sigurd Rache nehmen, obgleich sie ihn stets geliebt hat und noch immer liebt. Sie gewinnt Gunnar und Högni, die aber selbst der geschworenen Eide wegen den Mord nicht vollführen wollen, sondern den jüngsten Bruder, der nicht mit geschworen hat, Guthorm, dazu aufstacheln. Dieser ersticht Sigurd an Gudruns Seite.

Da nun ihre Rache gestillt ist, ersticht sich Brynhild, nachdem sie von Gunnar und den übrigen Abschied genommen, noch einmal Zeugnis für Sigurds Treue abgelegt und schließlich verlangt hat, dass ihr neben Sigurd der Scheiterhaufen errichtet werde, „sie will mit ihm zusammenbleiben“.

Reinhard v.Tümpling, im Januar 2014