Talkshow, Phenakistoskop und Filmscheibe

Ein Beitrag zur Medienerziehung

von Reinhard von Tümpling

 

Lehrplan

Das Thema lässt sich ersatzweise durchnehmen zu HS Ku Lz. 8.6 vor und hinter der Videokamera: "Szenen wie im Film"

Lehrplanzitat:

Filmarbeit ist Teamarbeit, bei der die Schüler mit unterschiedlichen Aufgaben betraut sind, die zu einem gemeinsamen Ergebnis führen sollen. Ob sie nun dabei am inhaltlichen Entwurf der Szenen arbeiten, als Schauspieler vor der Kamera agieren, für die Dekoration und Beleuchtung zuständig sind, die Kamera führen oder an der technischen Fertigstellung des Films mitwirken - im gesamten Ablauf muss sich jeder Mitwirkende auf die anderen verlassen können.
Die Möglichkeit, den Darstellern mit entsprechender Kameraführung ganz nahe zu kommen, verstärkt beim Betrachter die Wirkung und Aussage meist gezielter als beim personalen Spiel auf offener Bühne. Wechselnde Aufnahmestandorte, Einstellungsgrößen und Einstellungsperspektiven verlangen vom Spieler, sich immer neu auf die Kamera auszurichten.
Das Spiel gliedert sich in einzelne Aufnahmesequenzen, die für die Darsteller eine bewusste Identifikation mit ihrer Rolle verlangen, weil Haltung, Stimmung und Ausdruck über die Einstellungs- und Schnittfolgen hinweg durchgehalten werden müssen.


Im bayerischen Gymnasium lässt sich das Thema nach dem neuen Lehrplanentwurf durchnehmen zu Lz. 7.2:
Darstellen zeitlicher Abläufe: Kintopp, Comics, Bildgeschichten mit ca. 8 Std.)

Zeit als Darstellungsproblem wird den Schülern augenfällig, wenn sie versuchen, Bewegungs- oder Handlungsabläufe aufzugliedern und in "stehenden" und "laufenden" Bildfolgen zu schildern. In eigenen praktischen Versuchen und im Betrachten von Beispielen sollen die Schüler Einblick in technische und gestalterische Möglichkeiten gewinnen (> MB, MT, ME), zeitliche Abläufe zu veranschaulichen, und befähigt werden, eigene Ideen planvoll zu realisieren.

Gestalten
Themen zur Wahl:
- handlungsorientiert:
Bildgeschichten, Comics, Simultandarstellungen (>D: Kurzgeschichte)

- Entwickeln einer Handlungsfolge (z.B. 'Heute geht alles schief, 'Eine schöne Bescherung') oder
- bewegungsorientiert: Klapp- und Ziehbilder; Daumenkino und andere Vorformen des Films
- Entwickeln einer Bewegungsfolge (z.B. 'Hund springt nach der Wurst', 'Haltet den Dieb', 'Der Schuß ins Tor')

Techniken zur Wahl:
Zeichnen, Malen, Drucken, Photographieren; ggf. Computer-Animation
Planen und Organisieren, als Partner- oder Gruppenarbeit, Festlegen der Handlungsabschnitte.


Auffällig ist der wesentlich realistischere Ansatz des Gymnasiums aus dem Jahre 2002 im Vergleich zu oben. Erst als sich die erste Begeisterung über die schuleigene oder private Videokamera etwas legte zugunsten einer nüchternen Betrachtungsweise, bekam das Thema seinen vernünftigeren Rahmen.

Benutzte Literatur:

"kunst und wir 7", Wolf-Verlag, ISBN: 3-523-26882-6, (nur noch gebraucht) Seite 13; schildert sehr flüchtig das Thema Daumenkino, die Themenvorschläge reichen von "Sprach"-bildern bis zu Sportarten.

"kunst und wir 8", Wolf-Verlag, ISBN: 3-523-26892-3, (ca € 14,00)Seite 46 ff umreißt sehr schnell einige Videoexperimente, das Buch verlangt eigentlich nicht den ordentlichen Umgang mit der Kamera.

 

 

Zum Speichern von Bildern und Schablonen:
Internet Explorer: rechter Mausklick auf die Abbildung - "Ziel speichern unter.." wählen.
Netscape: rechter Mausklick auf die Abbildung - "Verknüpfung speichern unter..." wählen.
Opera: rechter Mausklick auf die Abbildung - "Link speichern unter..." wählen.

 

Der Themenbereich ist komplex. Er verlangt den Umgang mit Medien, und setzt insofern erst einmal eine Kenntnis des Begriffs voraus. Erst danach kann die Filmscheibe einen szenischen Ablauf schildern.

Ich habe den Themenbereich deshalb gestaffelt und zuerst den sehr virulenten Bereich der Talkshows abarbeiten lassen.

 

Zur Einführung ließ ich die Klärung des Medienbegriffs über einen großen Hefteintrag erarbeiten.

 

 


medien1.jpg

 

Danach folgte ein größeres Tafelbild mit laminierten Bildern, auf denen Medien zu sehen sind.

 

 


medien2.jpg


Medien3.jpg zeigt die erklärenden Begriffe dazu

 

Dann ließ ich die Schüler nach Bildern zu den Themenbereichen suchen und zum Hefteintrag hinzu kleben.

 

 


medien4.jpg Schülerarbeit: recht klar geordnet

 


medien5.jpg Schülerarbeit:
diese Schülerarbeit ließ sogar den Sport und ein Deodorant als Medium erkennen. "Eishockey" als Transportmittel für etwas, sowie das "Deodorant" als Medium: eine recht reife intuitive Verständnisleistung, als Mittel zu etwas, wie es auch die reale Werbung transportiert.


medien6.jpg Schülerarbeit: etwas wild eingebunden in ein Strukturbild

 


medien7.jpg Schülerarbeit: recht brav und recht schön geordnet

 

 

Anschließend sollten sich die Schüler mit den Bild einer Talkshow beschäftigen.

Wichtig waren mir auf dem Blatt:

  • der Interviewte,
  • der befragt wird und sich präsentiert, der Schauspieler, der etwas zu sagen hat oder der eine vorgeschobene Botschaft zu sagen hat, -oder das arme Opfer und der Kläger (deren Positionen medien- und sachgerecht aufbereitet sein können), oder der sich willigst als Promotor eines neuen Produkts vorschalten lässt oder lassen muss.Es kann ein beworbenes Buch sein, eine Kosmetikserie, ein Trailer zu vergangenen Zeiten und ein Vorspann zu neuen Produkten. Es kann aber auch nur eine Ehrung sein, was aber sehr unwahrscheinlich ist, weil erfolgreiche Fernsehformate nicht mehr zweckfrei sind.Es ist gleichgültig, für welches Produkt und Sachproblem die Personen stehen, Sachen und Personen sind bei entsprechender Präsentation in verschiedenen Formaten, Sendezeiten und Sendern austauschbar und werden auch markenrechtlich geschützt.

  • der Interviewer:
  • denn ohne Fragen und Moderation gibt es keine Reaktionen und Antworten und Verknüpfungen; er ist der bekannte Anker für den Zuschauer und der Fixpunkt für das Auge.

  • die Kamera:
  • ohne Zooms, ohne Formatwahl, ohne Schnitte, ohne Handkamera, ohne Bilderwechsel und Bewegungsführung gibt es heutzutage keine interessante Show mehr; erst die vorauswählende Kamera und das Scheinwerferlicht machen aus dem langweiligen Mäusekino ein voyeuristisches Objekt der Begierde, und nach der Original-Aufzeichnung der Show fängt erst die Arbeit mit der Magnetaufzeichnung an. Aus der sehr trockenen und konstruierten Aufzeichnung wird eine Aufmerksamkeit fesselnde Show.

  • und die Zuschauer:

    die armen Teufel: sie sind die Gebrauchten und Benutzten, die gesteuerten Ab-Lacher und die organisierten Omnibusgäste.

Sie werden stellvertretend für die amorphe Masse des Publikums im voraus ausgewählt und zugelassen und eingeladen, an der Lautstärke der Lacher und Buhrufe und des Füßetrampelns gemessen, per Telemetrie und vielleicht noch per Gesichtskontrolle auf Zielgruppentauglichkeit vermessen, zusammen gesetzt je nach Thema und Proporz, und bei showkonformen Reaktionen als kurze Einblendung von Kameras in die Sendung mit eingeschnitten.


Die Ergebnisse:

 

Im Verlauf der 2 Doppelstunden entstanden recht hübsche Bilder aus der sozial frei verfügbaren Vorstellungswelt der Schüler.

 


Medien8.jpg Schülerarbeit
Talkshow, ein Kandidaten-Thema mit Treppe und der berühmten Tür (Ankündigung und lichtgleißende Präsentation: der "Ahhhh"-Effekt)

 


Medien9.jpg Schülerarbeit
Talkshow, eine Schwatzshow mit Tür mit Treppe


Medien10.jpg Schülerarbeit
Talkshow, recht liebevoll gestaltet, reife Leistung mit Wesentlichem

 


Medien11.jpg Schülerarbeit
Talkshow mit "Britta" und "Arabella": wenngleich Sprechblasen in den Bildern nichts zu suchen haben, zeigt es doch die Not, der Arabellas Kandidaten ausgesetzt sind- und sich aber auch aussetzen lassen


Medien12.jpg Schülerarbeit Talkshow, zwei recht "reife bildnerische Leistungen"

 


Medien13.jpg Schülerarbeit Superstar und Vera am Mittag (mit beachtlicher Perspektive!)

www.commersen.se/ungafakta/pyssel/skapa/phena.html liegt auf einem schwedischen Server, 2 Bilder von 12-er Scheiben, -.pdf-Formate.

www.nfi.no/filmmuseet/semuseet/ images/phenakistoskop.jpg gut bebildert, zur Erklärung des Zoetrops

easyweb.easynet.co.uk/~s-herbert/zoet.htm zeigt sogar einige ruckelnde Animationen

www.blume-programm.de/ab/boerse/b_428.htm die Tauschbörse Unterricht darf natürlich nicht fehlen; der Kollege Blume war da recht fleißig, weil er seine CD verkaufen will

www.lpg.musin.de/kusem/konz/su2/rechts.htm Uli Schuster darf ebenfalls natürlich nicht fehlen, Grundlagenarbeit, noch gut verlinkt;

http://home.t-online.de/home/lienke/bifaz.htm recht witzig, zeigt Verkehrsschildanimationen. Das Verkehrszeichen ist an sich schon eine weit gehende Vereinfachung und wird zusätzlich noch einmal zum Eyecatcher.

www.vks-shop.de/c70.html der Verlag bietet dies teuer an und weist die Filmscheibe in die Ecke des Spielzeugs

www.dtmb.de/Rundgang/Filmtechnik/txt/body1.html recht kurz geschrieben

www.sport-unterricht.net/schwimmen/kraul/daumen.html zeigt Einzelbilder und Bildphasen zum Schwimmunterricht

www.zzzebra.de/index.asp?themaid=615&titelid=3158 zeigt das Basteln eines Daumenkinos


Phenakistoskop und Filmscheibe

Aus Bildlizenzgründen verzichte ich auf die Grundlagengeschichte des Films.

Man kommt dem Themenanfang aber mit dem Begriff des Daumenkinos sehr nahe.

Eine Videokamera stand meinen Schülern nicht zur Verfügung; und wegen des unangemessen hohen Arbeitsaufwandes vor und nach Herstellen des Produkts werde ich diese auch nicht anschaffen.


Um die Schüler nicht allzusehr zu belasten, habe ich das Thema über drei Wochen hinweg mit gezielten und gestaffelten Impulsen gestreut:

---die erste Woche hängte ich nur eine Filmscheibe mit Nils Holgersson an die rückwärtige Schau- und Pinnwand und stellte die Frage: "was machen die Flügel der Gans, wenn sich die Scheibe dreht?"


Bild: comifilm.jpg

---die zweite Woche stellte ich den Karton mit den leeren 24 Blanko-Schülerfilmscheiben und den Reflexionsfolien auf die Ablage im Raum und ließ die Sportler-Phasenbewegungsbilder vom Dauerlauf austeilen.


Bild: film1943.jpg

Bild: film1949.jpg

---die dritte Woche teilte ich ein Daumenkino von "Willi Waldfrosch" aus, ließ es anmalen und kurz den Unterschied von Bild zu Bild sprachlich feststellen.


Bild: Daum_kin.gif

Dann teilte ich das 12-er Blanko-Blatt aus und ließ 2 Strichmännchen einem Fußball nachlaufen.


Bild: comfilm3.gif

Im letzten Schritt ließ ich die anderen Bildtafeln im 12-er Blatt mit sauberen und ausgearbeiteten Umrisszeichnungen derselben Strichmännchen versehen.

Die Ergebnisse:


Bild: film2024.jpg ein guter Einzelfilm

Bild: film2083.jpg Einzelfilme

 


Bild: film2084.jpg 3 brauchbare Einzelfilme

 


Bild: film2064.jpg 3 gute Einzelfilme

 


Bild: arbt2080.jpg

Während des Zeichnens der Einzelfilme ließ ich noch die Filmscheiben mit schwarzer Dispersionsfarbe einseitig anmalen. Besonders die Schlitze sollten an den Kanten ausgemalt werden, ebenso wies ich die Schüler darauf hin, dass Dispersionsfarbe nicht mehr aus der Kleidung heraus geht. Pro Klasse verbrauchte ich etwa ½ Flasche Dispersionsschwarz.

Danach kam das schon als selbstverständliche Montieren der ausgeschnittenen Einzelbilder mit Büroklammern auf die Nicht-Schwarz-Seite der Filmscheibe.

 

 

Nachbemerkungen:

Auf unsere Schüler stürmt Tag für Tag eine Bilderflut ein, die gar nicht erst verarbeitet sein will- scheint es. Man wird die Bilderflut erst realistisch wahrnehmen, wenn man einen ganzen Fernsehnachmittag oder gar -abend mit beschreibenden Worten fassen sollte (Walter Kempowski hat das mal gemacht, aber mit Pädagogik-Studenten- eine ganze Woche lang).

Jeder vernünftige Schüler würde sich protestierend gegen die Artikulierung sträuben. Rein physiologisch kann er sich reifungsmäßig gar nicht sinnvoll ausdrücken, und die Wahrnehmungsvorgänge werden ins passive Verständnis hinab gedrückt.

Er hat aber einen Sinn für besonders komische Situationen und kann sehr wohl das szenische Zitat "was guckst du!" für eine Verständnisblockade aufbringen, ebenso wie der Ausdruck "muttu Checkerbaby machen" auf eine Parallelebene abhebt, die der Form des subversiven Witzes nahe kommt. Wo eine lineare Aussage zum Verständnis unmöglich ist, schafft es vielleicht die umschreibende, einen verhüllten Sinn zu transportieren.

Völlig gegenteilig laufen die Nachmittagsshows ab, Zeit und Konflikte werden künstlich aufgebläht, gespreizt und thematisiert. Die Pubertät wird so zum passiv konsumierbaren Artikel, eine Befindlichkeit zur Handelsware, der oder die Moderator/in zum persönlichkeitsbildenden Familienersatz mit gelegentlich aufgeblasener Placebo-Wirkung. Man kann dem Elternhaus keine Vernachlässigung zubilligen, das Elternhaus weiß es womöglich nicht anders oder kann nicht anders und hat andere Moralfilter als zu erziehende Heranwachsende und Jugendliche.

Das macht sich die Werbung schon lange mit ihren Clips zu eigen. Aus dem ökonomischen gegenteiligen Zwang zur Kürze heraus entstanden, konzentriert sie sich auf Wesentliches in der Sachaussage, verbreitert sich aber genauso lustvoll auf ausgebreitete szenische Schrulligkeiten, um z.B. die Kompetenz eines Bundeslandes zu demonstrieren. Das Logo wird solcherart aufgeladen, mit bewegter Erinnerung verknüpft und gerät so zum universellen belebten Prägestempel.

Die unterrichtliche Gestaltung eines Clips kann deshalb zur Bildung eines kritisch-ordnenden Superzeichens hilfreich sein.


Nachträge:

Die folgenden Blattvorlagen kann ich auch als AutoCad.dxf- Exportdatei mailen, sofern die Kolleg/Innen das wünschen.

Comfilm1.gif: 8-er Filmscheibe

Comfilm2.gif: 10-er Filmscheibe

Comfilm3.gif: 12-er Filmscheibe

Comfilma.gif: 12-er Filmscheibe mit diagonaler Rastermittelung

Comfilmc.gif: 6 verschiedene Bewegungsphasen von Mädchen

Comfilmd.gif: 6 verschiedene Bewegungsphasen von Männchen

 

Film3.gif: einfache senkrechte Anordnung

Film3a1.gif: Mädchen geht

Film3a2.gif: schlankes Mädchen geht

Film3b1.gif: ein Ball beschreibt eine Bahn
(eine Ehrung an Uli Schuster)

Film3b2.gif: Auto kommt näher

Film3b3.gif: Flugzeug macht Looping

 

 

Reinhard von Tümpling, 2003