Eine Entwicklung
von Reinhard von Tümpling
Es ist hier eine Art „Spurensuche“. Ich schreibe in dieser Datei in der Vergangenheitsform und schildere Ereignisse, die ich schon kannte, sich zum Guten gewandelt haben, und wie sie sich zumindest darboten, sowie das Finden in der Wirklichkeit. Mit einigen Zeitachsen schaffte ich so einen weiteren Zugang.
Ich besuchte damals die Villa Flora in Wintherthur. Hier hängt eines der berühmtesten Bilder von van Gogh, das Zimmer mit dem Billard-Tisch. Man könnte sich nun seine eigenen Vorlieben zusammenstellen, weil van Gogh in der Jetztzeit schon fast als zu beliebig gilt. fast schon Verballhornungen, was damit alles gemacht werden kann... dieses Bild suchte ich, aber in Öl. Ich hatte es schon einmal gesehen, im pommerschen Landesmuseum in Greifswald, 2004....
....und fand das Gemälde nun wieder und jetzt hatten wir 2012. Die Zeitung berichtete mit drei großen Seiten darüber. |
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Wie bin ich damit umgegangen? Das kannte ich doch! Und suchte ab nun. Aber was war nun ideal? Eine ebene Straße mit viel Verkehr- man kann in weiter Ferne noch die bestens mechanisierte Landwirtschaft erkennen, den Mähdrescher, den Schlepper mit zwei Hängern für das fertig gedroschene Getreide, sowie die mobile Ballenpresse. Dann die gut mit Bäumen verhüllte und geborgene Landstraße, eingebettet und nicht zu schnell fahren die Autos darin
Ich kam nicht mehr näher an das Motiv dieses van Gogh hin. Es gab keinen Parkplatz oder keine Stellfläche, um den ähnlichen Blick von van Gogh in die wogenden Getreidefelder zu bekommen. Vielleicht fuhr ich auch nur zu spät los. Ich versuchte die Erinnerungsfolien zu vergleichen. In seinem geschilderten Haus werden Erntearbeiter gewohnt haben, vielleicht zu dritt oder zu viert in einem Zimmer, um den Weg zur Arbeit zu Fuß gehen zu können. Diese Szenen aus dem Landleben und der Landarbeit schilderte van Gogh recht vielfältig; vom Schneiden der Getreideähren bis hin zum Binden der Garben. „Gemüsegärten“ und „Schafsweiden“ gibt es reichhaltig aus seiner Hand, wunderschön gegliedert durch geschickten Strukturwandel des benutzten Stiftes oder seiner Kreiden. Aus diesem Haus wird vielleicht einmal für kurze Zeit eine Hufe entstanden sein, -danach vielleicht eine befestigte Straße mit einem Dorf. Diese ehemaligen Landarbeiterhäuschen hier sind als Lebensalternative hier im schonend umgebauten Zustand sehr begehrt, weil sie in einer Erholungs- und Freizeitlandschaft stehen und diese Dörfer werden erweitert, ohne das Wesen des Ortes oder der Landschaft zu zerstören. Selbstverständlich gehören die hohen Bäume am Rand des Wirtschaftsweges als Landmarke auch mit hinzu. Ich begreife die gestaltete Landschaft erst im Stillen. Müsste ich alleine in einem Haus mitten in dieser Fläche leben, würde ich ihrer sehr schnell überdrüssig. Im Vorbeifahren aber erschliesst sie sich anders. Ich sehe die Grenzpfosten und Zäune räumlich, sich gleichsam bewegend. Der eine Ort wird schon sehr vorsichtig durchfahren, weil er sich an diesem Lauf der Landstraße entlang recht verwinkelt entwickelt hatte. Dann wird es frei und gerade und die Baumreihen in der Ferne sind zu sehen. Erst zuletzt wieder beim nächsten größeren Ort kommt der neu gebaute Kreisverkehr und beendet die Fernsichten. Mir bereitete es ein großes und zugleich stilles Vergnügen, dieser Zeitachse nachzuspuren. Noch eine Zeitachse bot sich an und drängte sich förmlich heiter auf. Caspar David Friedrichs Bild von Greifswald, die Masten von Segelschiffen, -die feinen Strukturen bieten sich im Gegenlicht an. Man sieht sowas sonst kaum aus der Ferne, weil sich das Auge wegen der Lichtfülle sofort nur an den diffusen Grauwert anpasst.
Friedrich hat seine Segelschiffe nicht nur als handwerkliche Sachschilderung angefertigt, sondern auch als Metapher benutzt, in seinem Bild der Lebensaltersstufen kommt das deutlicher zum Ausdruck. „Friedrich“ immer noch als Ikone der gemalten deutschen romantischen Innerlichkeit, auch im Hinblick auf Napoleon oder die schwedische Besatzung, die sich wohl auch damit erst als solche definierte, also im Hinblick auf...
Was blieb mir davon?
Ich entdeckte meinen Friedrich noch einmal wieder.
Und:
Dieses Gefühl will erst verarbeitet sein, bevor es auf Reisen geht. Wer das nicht kennt.... es ist wirklich sehr sehr schön..... gleichwohl ..... man kann dieses Boot chartern, es schaut schön aus.... ich unterhielt mich mit einer Touristin aus Österreich, die ihre faszinierte Schau-Lust in Worte fassen wollte, fast sprachlos am Kai „ich mag das ganze..... Flair...“ sagte... und sie war doch unter Zeitdruck wegen ihrer Omnibus-Reisegruppe... es war schade ...
sicher legte man das Boot zu Friedrichs Zeiten mit einem Ruderboot ab und schleppte es in den richtigen Wind.... der Schiffsdiesel böllerte schon batschend und sattzufrieden.... das Schlauchboot hängte sich wieder hinten ein in die Davits...
Und was verhieß uns erschöpfender Weise Wiki dazu?
Als Vergleichsfolie wäre das bestimmt die nächste Zeitachse. Gleichwohl war es für mich nicht mehr wichtig. Ich sah es ja hier direkt, es war anzufassen, es war zu fühlen... man kann sich hier ein Kajak mieten und den Fluss hinauf paddeln. Renoir komponierte Zeiteindrücke und baute sein Bild zusammen, indem er Freunde Modell sitzen liess; er fasste aber die Stimmung der heiteren Sommerfrische sehr wohl auf.
....Ich bezahlte noch im Hotel, half beim Einladen, setzte mich dann auf den Beifahrersitz.... wurde heim gefahren... und wachte verschwommen wieder und wieder und wieder völlig kraft- und machtlos mit drei, vier Albträumen auf... ...ich gehe immer wieder um einen kleinen See herum, ein ausgetretener Weg, faulige Blätter liegen träge auf dem Wasser, jemand fragt, was ich hier tue... ich warte auf jemanden, ich bin an der Schweizer Grenze, bald müssten sie da sein... aber ich bin in Sicherheit.... Wer sie? In welcher? Der Oberarzt soll gesagt habe, er könne nichts sagen..., aber.... andererseits... „Sehen Sie doch, immer wenn Sie da sind, geht der Blutdruck hoch..., das ist ein gutes Zeichen“ ...dann das Bild der ewigen Wanduhr und der sanft geöffneten Schiebetür, jemand huscht hinein, Fenster, eine Wandbrüstung, die den Nebenraum verdeckt, ich sage „ja, wir gehen alle mit Paule zum Eisessen, im Sommer dann...“, nehme kraftlos die Apparate wahr.... Zurück sinken. ...der Oberarzt ging mit mir herum, er hatte einige helle und lichte Aquarelle selbst gemalt, die nun da hingen... und fragte mich nach meiner Meinung.... Ich kann mich an den Pförtner erinnern und an den Gang zum riesigen Aussichtsfenster; erst später kamen mir diese Eindrücke wieder, als ich begriff, wie sehr ich gefangen war in unverständlichen Einzeleindrücken und die doch verarbeitet werden mussten als dürrer Teil des Ichs. Die Zeit verging. ...zuletzt wieder und wieder das nervtötende und umögliche Warten auf das Ausschalten des Rechners, gleichsam als hätte ich ein Buch bestellt und käme nicht mehr aus der kostenpflichtigen Abo-Falle eines konfessionell gebundenen Verlagsdienstes heraus, ich wollte mich bewegen- bewegen und ausschalten, - nein, es ging nicht, und irgendwann wurde es mir egal und ich dachte ohne Macht und ohne Hände, dass nur noch der Schlaf Erlösung und Ruhe bringen werde.
Wieder frei werden...
Das Wiederherstellen....
Es gab noch andere Frühstücke, die aber abzubilden mir unmöglich wurde, es war privat und nicht mehr in öffentlich zugänglichen Sichtachsen- ich hatte das unbedingt zu respektieren und will auch nicht mal mit Worten dies kleine Glück versuchen zu beschreiben.
Eine Überlandfahrt..... Der trübe schöne melancholische Ausblick... sich sehr beängstigt fühlen, wie fragil gerade diese Gesellschaft ist, - und... ....Gütiger! Warum gerade diese?! Die liebevoll und gewitzte nähende Künstler-Kollegin möchte mir bitte verzeihen, aber ich habe doch extra für die Bild-Lizenz an der Kasse bezahlt... das Treppenhaus, dunkelbraun bis schwarz, mit zwei weissen eleganten Stuhlhussen scharf und hart grafisch kontrastiert, beruhigend.... für das Ganze...., Form im Gefühl.... das Treppenhaus, ganz von innen, die viel bessere Ansicht... der Blick hinab.... frei werden und sich lösen aus der Beklemmung.... die blechern verzerrte Musik der Endlosschleife..., der Unterschied zwischen gefühlter Wirklichkeit und eigenem Abgleich....
Friedrich Hechelmann hätte hier keine besseren Grafikvorlagen gefunden.... Wir saßen noch etwas da und ein leichter Regen begann. Eine alte Dame mit sorgfältig gekämmtem wallenden und weißem Haar und sehr guter Kleidung stand plötzlich neben uns und schien mit großen Augen fragend verwirrt.... Sie sagte erstaunt, wo ihre Gäste denn seien und gerade eben seien sie noch da gewesen; sie hatte zwei abwaschbare Schneidebrettchen aus Resopal und ein Küchenmesser in der Hand und wollte wahrscheinlich ihren Gästen noch ein Abendbrot zubereiten... es war gut, dass wir gerade hier.... da.... waren.... und sie wieder mit freundlichen und geduldigen Worten die wenigen Meter heim schicken konnten.... die Gäste der alten Frau waren real schon gegangen, und –oder- sie hatte es nicht mehr wahrgenommen. Nein, dies war kein Theater mehr. Kein Nachwort, kein Prolog, kein Programm, keine Idee, keine Kunstsituation. Schaut so das Alter aus? Hatte sie einfach das „Auf Wiedersehen“-Sagen ausgeblendet? Und warum? Weil Trennung weh tut, -oder sie auch keine Werkzeuge im Ich hatte, um das „Auf Wiedersehen“ zu verarbeiten? Vielleicht waren die Gäste auch nur Fiktionen, mit denen das eine Ich dem anderen vorgaukelt, es gäbe solch eine? Oder sie liess nicht mehr zu, dass die Gäste sie als Menschen berührten.. oder.... es gab noch nicht diese Generation von Altenpflegerinnen, die schon Biografiearbeit und Basalstimulation gelernt hatten? Was behält man im Herzen, wenn man geht? Und.... wann und wie? Ich war fast erschrocken darüber, wie dicht und plötzlich bestehende Kunst, Handwerkswissen und Theatralik, reales Ambiente und Geschehnisse ineinander griffen und die Zeitgrenzen verschwimmend nah zusammen geführt waren. Die Damen im Entree und an der Kasse sagten (etwas verlegen berührt), dass Alraune Siebert gerade dieses Gebäude für ihre Ausstellung gesucht habe...
und im Kontrast zu begreifen:
Der Schriftsteller Wolfgang Koeppen fiel mir wieder ein. Er ging als uneheliches Kind aus der Heimat fort, reiste viel und schrieb, solange er noch ungewöhnliche Erinnerungsfriktionen hatte. In jedem seiner Zimmer soll eine Schreibmaschine gestanden haben, die ihm der Suhrkampverleger Unseld hinstellte, unbenutzt, - er wusste ohne Anima einfach nichts mehr. Regina löste fast im Vorbeigehen genau dieses Problem wie immer auf ihre unnachahmliche elegante Art auf, dass sie sagte, es habe einfach die Vatergeneration als Vorbild gefehlt, die den Bruch des Übergangs vom wilhelminischen Zeitalter zur neueren Zeit überwinden half.
Was mir noch am Herzen lag: Ein Zeitdokument wurde mir hingespült- ich las es gierig, weil ich nur einen anderen „Graf“ kannte, nicht diesen politischen... und ich bewunderte ihn, wegen seiner passenden Attribute.... Graf ging ja ins Exil und hatte den echten Freund, der ihm die Emigranten-Assimilierung und den Kunstverlust ersparte. Sehr gute Worte zum Ende dieses Tages, hoffnungsfroh... Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass Worte sichere Wirklichkeit werden.
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Reinhard v. Tümpling, im Oktober 2012
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