Jannis K. Androutsopoulos [@]
Jugendmedien sprachwissenschaftlich betrachtet 
Erscheint in merz (medien + erziehung) 4 / 2000
Datum der on-line Veröffentlichung: 20.07.00
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Der Artikel thematisiert Jugendmedien aus der Sicht der linguistischen Medienforschung. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen Strategien der Sprach- und Textgestaltung, die gegenwärtige mediale Jugendkommunikation prägen. Abschließend gehe ich der Frage nach, ob die angeführten Gestaltungsmittel auf dem Jugendmedien-Markt unterschiedlich verteilt sind.
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Nicht nur "Bravo" und "Viva" 
Unter Jugendmedien verstehe ich ganz allgemein das an Zielgruppen im Alter von ca. 14-25 Jahren gerichtete Medienangebot. Davon ausgehend beschränke ich das Beobachtungsfeld auf Gebrauchstexte, künstlerische Gattungen bleiben ausgeschlossen. Also keine Videoclips oder Songtexte, sehr wohl aber die Moderation von Videoclip-Sendungen, Plattenbesprechungen usw. Obwohl Jugendmedien ein umfangreiches und in sich differenziertes Feld medialer Kommunikation darstellen, ruft dieser Begriff im alltäglichen Medienbewusstsein als erstes Stichworte wie "Viva" und "Bravo" hervor. Doch die Spitze mit dem gesamten Eisberg gleichzusetzen, kann für das Verständnis von Jugendkulturen und ihrer medialen Kommunikation fatal sein. Denn wesentlich für jugendkulturelle Medien ist das Nebeneinander von wenigen Marktführern und zahlreichen Nischenmedien. Jugendliche erleben und fördern diese Vielfältigkeit, indem sie ihren Medienkonsum je nach ihren kulturellen Vorlieben ausrichten und das an sie gerichtete Medienangebot wertend einstufen. Was allen bekannt ist, wird nicht unbedingt von allen geschätzt, und was für spezielle Fangemeinden einen festen Wert darstellt, ist der breiten Masse unbekannt. Diese Vielfältigkeit spiegelt sich auch in der linguistischen Jugendmedienforschung wider, deren Gegenstände vom Mainstream-Radio bis zu Skatermagazinen reichen. 

Jugendmedien als Arbeitsfeld der Medienlinguistik 
Der sprachwissenschaftliche Zugriff auf Jugendmedien fokussiert ihre Sprach- und Textgestaltung und untersucht sie vor der Folie der verschiedenen jugendlichen Zielgruppen und Kulturen. Ergebnisse medienwissenschaftlicher Forschung über das Angebot, den Konsum und die Aneignung von Jugendmedien werden dabei zur Kenntnis genommen, dies gilt insbesondere für die Rolle von Medien in der Entwicklung jugendkultureller Szenen und Gruppenstile (Münch 1998, Vogelgesang 1996). Zur Übersicht möchte ich zwei Stoßrichtungen linguistischer Jugendmedienforschung unterscheiden, wovon die erste eher von den Medientexten, die zweite eher von den Jugendkulturen ausgeht.

Die erste Stoßrichtung untersucht Zusammenhänge zwischen Sprachgestaltung und Zielgruppe. Die Leitfrage könnte lauten: Woran sieht man an diesem Medientext, dass er für Jugendliche generell oder für eine spezifische Szene, z.B. die Skater- oder die Hip-Hop-Kultur, produziert ist? Zur Beantwortung kann man die ausgewählten Daten mit möglichst ähnlichen Texten für eine andere Alters- und Zielgruppe vergleichen, wobei verschiedenartige Sprachmittel als Vergleichskriterien dienen können. Man kann aber auch die für eine Jugendkultur typische Mediengestaltung beschreiben und zeigen, dass bestimmte (verbale oder auch visuelle) Ausdrucksmittel charakteristisch sind für diese Kultur, indem diese Ausdrucksmittel in mehreren Medien derselben Kultur oder auch in der direkten Kommunikation dazugehöriger Jugendlicher nachgewiesen werden. Diesem (im Grunde soziolinguistischen) Ansatz folgen unter anderem Untersuchungen über Radiosendungen für Jugendliche (Nowottnick 1989), Plattenkritiken in Fanzines (Androutsopoulos 1999), jugendgerichtete Werbung (Anthonsen u.a. 1998) wie auch die vorliegende Darstellung.

Doch in Medien werden nicht bloß Produkte und Ereignisse dargestellt, sondern Weltbilder, gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen kreiert und tradiert. Dementsprechend geht die zweite Stoßrichtung der Frage nach, wie Jugendmedien spezifische kulturelle Wirklichkeiten konstituieren und weitervermitteln . Tun sie das z.B. indem sie bestimmte Verhaltensweisen als selbstverständlich oder abweichend darstellen, indem sie jugendkulturelle Strömungen bewerten und miteinander vergleichen, indem sie schließlich durch ihre visuelle und sprachliche Gestaltung eine Ästhetik erzeugen, die eine bestimmte Zielgruppe repräsentieren soll?Ein solche Gesichtspunkte fokussierender, diskursanalytischer Zugriff eignet sich z.B. um zu zeigen, wie in Teenagermagazinen geschlechtsspezifische Stereotype reproduziert werden (Talbot 1992, Ostermann & Keller-Cohen 1998) oder auch wie in Skatermagazinen eine kulturspezifische "Authentizitätsrhetorik" entfaltet wird, durch welche der "echte Skater" konstituiert wird (Deppermann i.Druck). 

Dass Medienprodukte für jugendliche Zielgruppen durch charakteristische Sprachmittel geprägt sind, ist in der Alltagswelt wie auch in der Forschung gut bekannt. Die Funktion dieser Sprachmittel, ob "jugendsprachlich", "gruppensprachlich" oder "szenetypisch" genannt, wird letztlich mit dem Stichwort "Beziehungsgestaltung" erfasst. Marlies Nowottnick (1989) drückt diesen Zusammenhang so aus: "Die Moderatoren von Rundfunksendungen für Jugendliche verwenden zur 'Beziehungsdefinition' Strukturen aus der Gruppensprache der jugendlichen Rezipienten." Beziehungsgestaltung ist in erster Linie nicht als Marketing-Strategie sondern als grundlegender kommunikativer Vorgang zu verstehen: In jeder Kommunikation bauen die Partner durch die Themenbehandlung und ihre Sprache eine soziale Identität für sich und eine gegenseitige Beziehung auf. In medialer Kommunikation kann das Sender-Empfänger-Verhältnis durch Rückgriff auf zielgruppenspezifische sprachliche Normen definiert werden. Dementsprechend kann auch in Jugendmedien ein Rückgriff auf die Alltagssprache der Rezipienten dazu dienen, Intimität, Informalität, Zugehörigkeit und einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund zu signalisieren. Allerdings ist es meines Erachtens wenig sinnvoll, Jugendmedien auf ein Beispielbecken für Jugendsprache zu reduzieren. Mediengattungen haben ihre eigenen Konventionen, die auch jugendliche Sprecher/Schreiber verfolgen und manchmal auch kreativ abwandeln. Außerdem hat nicht jede sprachliche Besonderheit von Jugendmedien eine eindeutige Entsprechung in der mündlichen Kommunikation Jugendlicher. Nehmen wir z.B. das Duzen. Obwohl es in der Alltagskommunikation nicht jugendspezifisch ist, wird es in Jugendmedien und in jugendgerichteter Werbung systematisch benutzt, in Erwachsenenmedien hingegen kaum. Was Jugendmedien sprachlich kennzeichnet, ist also mitunter nur im Kontext medialer Kommunikation und relativ zu anderen Bereichen des Mediensystems festzumachen.

Methodisch gesehen ist die linguistische Jugendmedienforschung größtenteils auf Produktanalysen eingeschränkt, wobei Texte unterschiedlicher Beschaffenheit untersucht werden, von rein verbalen (Print- und Radiotexten) über verbal-visuelle (Werbeanzeigen) bis zu multikodalen (Fernsehtexten). Die visuelle und typografische Gestaltung von Printmedien wird bisher nur ansatzweise mit einbezogen. In einigen Fällen wird die Textanalyse mit Produktions- und Rezeptionsanalysen verbunden. Beispielsweise untersucht Nowottnick (1989) neben der Sprache von Radiomoderatoren auch die Rezipienteneinstellungen dazu und lässt Jugendliche "Moderator spielen", um die einprägsamen Muster des Moderatorenstils herauszuarbeiten. Auch Anthonsen u.a. (1998) verbinden ihre Analyse jugendgerichteter Werbertexte mit Befragungen bei Werbeagenturen und erheben auch die Ansichten Jugendlicher über die untersuchten Texte. Um die Medienkommunikation einer bestimmten Jugendkultur zu untersuchen, sind jedenfalls ethnografische Grundkenntnisse erforderlich, z.B. was die Musikstile und anderen Interessen dieser Kultur anbetrifft. 

Jugendmedien als sprachlicher Markt 
Im weiteren Verlauf dieses Artikels werde ich mich nicht auf ein Einzelmedium beschränken, sondern mich um eine ganzheitliche Perspektive bemühen, die Jugendmedien als sprachlichen Markt auffaßt. Jugendmedien, so meine These, unterscheiden sich von anderen Bereichen des Medienmarktes aufgrund der angepeilten Altersgruppe, sind aber gleichzeitig in sich differenziert, wozu auch der Sprachgebrauch beiträgt. Die Anbieter (d.h. die einzelnen Medien) zeigen ihre Position auf diesem Markt unter anderem durch ihren Sprach- und Textstil an. Umgekehrt können die Rezipienten, gestützt auf ihr jugendkulturelles Expertenwissen (Androutsopoulos 1997a), den Sprachgebrauch eines Mediums relativ zu dem anderer Medien einordnen. In diesem Artikel werde ich eine Reihe von Kriterien darstellen, die die sprachlichen Konturen dieses Marktes wie auch die Marktstellung einzelner Jugendmedien erkennen lassen. Der erste Schritt besteht darin, die Konturen des Marktes im Hinblick auf die Anbieter, Medienklassen und Themen zu umreißen. In einem zweiten Schritt werden markt-typische Strategien der Sprach- und Textgestaltung zusammenfassend vorgestellt, und in einem dritten Schritt sollen Zusammenhänge zwischen der Marktstellung einzelner Medien und ihrem sprachlichen Ausdruck angesprochen werden.

Kommunikative Rahmenbedingungen 
Wer produziert und verantwortet Jugendmedien? Drei Anbietertypen lassen sich unterscheiden: kommerzielle (korporative), unabhängige (auch "underground" oder subkulturell genannt) und gemeinschaftliche Jugendmedien. Der ersten Kategorie gehören praktisch die meisten Jugendmedien an. Ihr Gegenstück, die unabhängigen Medien, werden meist von Fans und Insidern betrieben, sind nicht profitorientiert und sprechen relativ kleine Zielgruppen an; Fanzines sind typische Beispiele (vgl. Neumann 1997). Gemeinschaftliche Medien werden von einer öffentlichen Institution verantwortet, z.B. die Jugendseite der Polizei im Internet, eine Anti-Aids-Kampagne, eine Broschüre der städtischen Jugendarbeit usw. Die drei Anbietertypen unterscheiden sich in ihren Budgets, ihrer Reichweite und ihren Beziehungen zur Welt ausserhalb der Jugendkulturen: Während kommerzielle Medien mit dem Feld der Wirtschaft verbunden sind und gemeinschaftliche Medien mit dem der Politik, haben unabhängige Medien keine wesentliche Beziehung außerhalb der Jugendkulturen, da ihre Verbreitung eingeschränkt ist und die sie finanzierende Werbung aus der einschlägigen Szene kommt. Diese Bedingungen machen auch das "subkulturelle Prestige" dieser Medien aus. Sekbstverständlich sind die Grenzen zwischen den Anbietertypen fließend, ursprünglich unabhänige Medien können sich im Laufe der Zeit zu kommerziellen Anbietern entwickeln.

Jugendangebote sind in allen Medienklassen zu finden (Printmedien, Hörmedien, Rundfunk, Internet). Wichtig ist, dass jedes Medium sein eigenes Potential für den Umgang mit Zeichen hat: Sprache kommt geschrieben oder gesprochen, mit visueller Begleitung oder ohne, in gespeicherter Form oder in Direktübertragung usw. (vgl. Holly 1997). Wichtig ist auch das Verhältnis der Medienklassen zu den drei Anbietertypen. Waren unabhängige Medien lange Zeit auf den Printbereich eingeschränkt, steht ihnen jetzt auch das Internet zur Verfügung. Umgekehrt ist der Rundfunk generell für kommerzielle Angebote großen Kalibers reserviert, allerdings ist neuerdings auch die Tendenz zu verzeichnen, innerhalb dieser Domäne "unabhängige" Nischen, z.B. szenenspezifische Sendungen, einzurichten.

Wie in allen Medien bekommt man auch in Jugendmedien dreierlei "Stimmen" zu hören und lesen: die von Kommunikatoren (Journalisten, Textern, Moderatoren u.a.), Akteuren (Künstlern, Kulturmachern) und Rezipienten. Typisch für Jugendmedien ist, dass es neben den Profis auch eine ganze Menge Amateure gibt, die sich nur hobbymäßig oder einstiegsweise als Kommunikatoren betätigen. Diese Sprecher/Schreiber gehören in der Regel der Altersstufe ihrer Zielgruppen an, wobei auch der Unterschied zwischen Profis und Amateuren fließend ist. Akteure werden in den Medien mit ihren Aktivitäten präsentiert, können aber auch direkt teilnehmen, z.B. als Interviewpartner, Gastmoderatoren usw. Die Rezipienten können sich auf zwei Weisen in die mediale Kommunikation aktiv einbeziehen, und zwar selbstinitiiert (z.B. durch Leserbriefe, Kleinanzeigen oder Gästebuch-Einträge) oder fremdinitiiert (als Studiogäste oder Ansprechpartner in Reportagen und Befragungen). Dass auch die Grenze zwischen Rezipienten und (amateurhaften) Kommunikatoren unscharf ist, zeigen traditionell Flyer und Fanzines, im Zeitalter des Internets auch die persönlichen Homepages. 

Der Jugendmedien-Markt ist letztlich durch seine Themenschwerpunkte abgegrenzt. In allen Anbietertypen und Medienklassen bilden Musik und musikbezogene Aktivitäten einen thematischen Kern. Darunter fallen Texte über Akteure und Kulturprodukte (Interviews, Plattenkritiken, Videoclip-Moderation), über Veranstaltungen und Szenen (Party- und Szenenberichte) sowie die einschlägige Werbung (Flyer u.a.). Angesichts der Gesamtbedeutung der Musik für Jugendliche und Jugendkulturen (Münch 1998) ist dieser Schwerpunkt nicht weiter verwunderlich. Weitere Themenbereiche betreffen Trends, Sportarten, Lebensstile, gesellschaftliche Probleme (Sexualität, Gewalt, Arbeitslosigkeit, Zukunftschancen). Das Meiste dreht sich um die eigene Altersstufe und Lebensphase, abstraktere Themen sind selten.

Jedes Jugendmedium erhält nach diesen Kriterien ein eigenes Profil, eine Marktposition, deren Spuren auch in den Texten zu entdecken sind. Die Textanalyse hat also auch den Zweck, sichtbar zu machen, wie sich diese Rahmenbedingungen auf den Sprachgebrauch auswirken.

Strategien der Sprach- und Textgestaltung
Sprachliche Muster, die nach meiner Forschungserfahrung typisch für die gegenwärtige Gestaltung ganz verschiedener Jugendmedien sind, werden nachfolgend in sieben Kategorien zusammengefasst, wovon sich drei auf die Sprach- und vier auf die Textgestaltung beziehen. Während die Kategorien der Sprachgestaltung auf Unterscheidungen wie mündlich/schriftlich und allgemeinsprachlich/gruppensprachlich beruhen, ist bei der Textgestaltung der Umgang mit Textkomponenten und Textsortentraditionen entscheidend.
 

Sprachgestaltung Textgestaltung
  • Konzeptionelle Mündlichkeit
  • Gruppensprachliche Elemente
  • Fremdsprachliche Elemente 
  • Begleitende Texte und Textteile
  • Szenenspezifische Füllung von Textmustern 
  • Funktionswandel von Textsorten 
  • Neue und hybride Textsorten 
Überblick über die Strategien der Sprach- und Textgestaltung

Ein erstes Kennzeichen des Sprachgebrauchs in Jugendmedien ist die konzeptionelle Mündlichkeit, d.h. die Orientierung der Sprecher/Schreiber nach einem Stil, der eine Beziehung der Nähe zwischen den Kommunikationspartnern reflektieren soll. Konkret bedeutet dies: Sprechsprachliches im Geschriebenen, Spontan-Ungeplantes im Gesprochenen. In der geschriebenen Sprache zeigt sich konzeptionelle Mündlichkeit in der Abbildung lautlicher Eigenschaften (Reduktionen, Verschleifungen usw.), aber auch im Satzbau und in Gesprächswörtern verschiedener Art. Dabei können sprechsprachliche Mittel wichtige Aufgaben in der Textorganisation erfüllen. In einer Untersuchung von Plattenkritiken in Fanzines (Androutsopoulos 1999) stellte sich heraus, dass Gliederungspartikeln wie also, ja, na, naja, ach u.a. systematisch eingesetzt werden, um Kaufempfehlungen oder abschließende Bewertungen einzuleiten, sie dienen also als Mittel der Textgliederung.

Die zweite Kategorie umfasst gruppensprachliche Elemente. Sie verweisen darauf, dass die Kommunikationspartner eine bestimmte soziale Zugehörigkeit teilen und sich als Altersgenossen oder Angehörige einer bestimmten jugendkulturellen Szene begegnen. Diese Markierung tragen häufig Mittel der Bewertung und Verstärkung, Wortschatzvarianten (Kurzwörter, Metaphern), soziale Kategorisierungen, Grussformeln und Anreden sowie der viele Jugendgruppen kennzeichnende direkte Ton, der von außen gesehen als "unhöflich" anmutet. Wenn zum Beispiel der Betreiber einer elektronischen Mailingliste seinen Text mit Hi Suckaz! eröffnet, soll die Beschimpfung Suckaz (englisch für in etwa 'Lutscher') nicht die Rezipienten beleidigen, sondern vielmehr ein "komplizenhaftes" Verhältnis zwischen Gleichgesinnten herstellen.

Das Beispiel Hi Suckaz! führt zur Kategorie der fremdsprachlichen Mittel. Das Englische, als gegenwärtig dominante Quelle, erfüllt in der medialen Jugendkommunikation sowohl fach- als auch gruppenspezifische Funktionen: Es vermittelt Inhalte, Techniken und Gegenstände der Jugendkulturen, symbolisiert aber auch Vertrautheit mit kulturellen Strömungen, was z.B. beim Gebrauch von englischen Formeln ritueller Kommunikation deutlich wird. Versatzstücke aus anderen Fremdsprachen haben in der Regel nur eine symbolische Funktion. Wenn der Moderator eines Jugendradios Die Zeit ist einundzwanzig Uhr und sieben Minutos sagt, kann die spanisch klingende Variante Minutos nur als Exotisierung einer sonst trivialen Handlung verstanden werden.

Diese drei Kategorien sind eng miteinander verbunden. Wenn z.B. der Moderator einer Hip-Hop-Sendung seine Zuschauer mit Hey Leute was geht ab grüßt, setzt er ein sowohl mündliches als auch gruppentypisches Signal ein. In längeren Texten können Elemente aus den drei Kategorien nebeneinander vorkommen. Nehmen wir als Beispiel eine Moderationseinheit aus NiteClub, einer Black Music-Sendung auf "Viva". Die Moderatorin begrüsst die Zuschauer mit einer für Hip-Hop typischen Grussformel (Yo, alles frisch?), bewertet dann ihre Sendung mit allgemein jugendsprachlichen Mitteln (es wird eine super super coole woche) und beendet ihre Sendungseröffnung mit einer rituellen Aufforderung (check it out), die auch in anderen musikbezogenen Textsorten zu finden ist.

Mündliche und gruppensprachliche Mittel bilden Schaltstellen zwischen der intsitutionellen und der privaten Kommunikation und dienen damit der Beziehungsgestaltung zwischen Sendern und Rezipienten. Doch welche sind ihre typischen Funktionen im Text? Manchmal werden sie als (reale oder fiktive) Zitate eingesetzt. Wenn z.B. der Veranstaltungskalender einer Musikzeitung mit dem Zitat Ey – was geht, Alter? überschrieben wird, borgt sich das Medium die Stimme zweier Freunde, die sich über das Geschehen in der Stadt austauschen. Drei weitere typische Vorkommensbereiche von sprech- und gruppensprachlichen Mitteln sind die Gestaltung expressiver Sprechhandlungen (Bewertung, Verstärkung), der Kontakt (Begrüssungen, Verabschiedungen und sonstige an die Adressaten gerichtete Handlungen) und die Rahmung, d.h. die Gestaltung von Textanfang und –ende. Jugendkulturelle Slogans und Sprüche als Texteinleitung oder –abschluss kommen in Leserbriefen, Partyberichten, Moderationseinheiten, Editorials und anderen Texten recht häufig vor. Durch solche rahmenden Elemente kann der Sprecher/Schreiber seine Kenntnis der Gruppenkultur zum Ausdruck bringen. Kontakt, Expressivität und Rahmung sind auch die Funktionen der oben erwähnten Sprachmittel in der Moderation von NiteClub.

Das Gegenstück zu den drei sprachlichen Kategorien bilden die vier Kategorien der Text(sorten)gestaltung. Jugendmedien entwickeln generell keine neuen Textsorten, sondern lehnen sich an massenmediale Konventionen an. Um so wichtiger wird daher der gruppen- oder szenenspezifische Umgang mit diesen Textsorten. Der Innovations- oder Seltenheitswert der Gestaltung wird dabei erst im Vergleich zu Konventionen der fraglichen Textsorte erkennbar.

Ein erster interessanter Bereich der Textsortengestaltung sind Titel von Rubriken und Sendungen. Titel ziehen immer Aufmerksamkeit an sich, sie sind das "Gesicht" des Medienangebots, daher ist es kein Wunder, dass in Jugendmedien eigene Gestaltungstendenzen zu finden sind. Titel in Jugendseiten der Tagespresse z.B. unterscheiden sich deutlich von denen der übrigen Ressorts. Eine Titelanalyse in bundesweit verbreiteten Clubzines wie "Flyer", "Subculture" und "Partysanen" zeigt, dass mehr als die Hälfte der Rubrikentitel englisch sind, z.B. Wax Trax (Plattenkritiken) und In da Mix (News). Auch die Mündlichkeit ist hier vertreten, mit Titeln wie Was geht, Ach was oder Host k"hört (alle drei für die News). Hier sieht man, wie die oben angeführten sprachlichen Kategorien bei der Gestaltung von Textkomponenten wirksam sind.

Eine ungewöhnliche Textgestaltung betrifft auch Texte und Textteile, die wir normalerweise kaum beachten. Ein Beispiel aus dem Printbereich sind Briefmarkenstellen auf Antwortkarten, wobei die unmarkierte Formulierung (bitte freimachen) durch verschiedene Sprüche ersetzt wird. Beispiele (auf Postkarten von Zeitschriften und Plattenlabels) sind die Sprüche Machen Sie mich mal frei!, Rauf mit der 80er Marke! und Gib ma 1 Mark. Ähnliches findet mit der Beschriftung von Navigationsknöpfen und Dialogbuttons im Internet statt, z.B. wird die "Abschicken"-Schaltfläche in einem Web-Magazin mit yeah, in einem anderen mit Schick's ab beschriftet. Auch ganze Textsorten werden auf diese Art abgewandelt, beispielsweise findet man Abo-Scheine in Dialogform, mit Sprachspielen, Parodien usw. Im Rundfunkbereich findet sich Ähnliches in der Gestaltung von Jingles und Werbetrailern. Der gemeinsame Nenner dieser Beispiele ist die Tendenz, das Periphere zu ästhetisieren. Gerade weil sie inhaltlich belanglos sind, bieten solche Begleittexte einen Schauplatz zur Darstellung von Individualität und Originalität.

Die gruppen- oder szenenspezifische Verwendung von Textsorten sieht man deutlich beim Vergleich einer Textsorte in mehreren Medien. Ein gutes Beispiel bieten Gruß- und Konaktanzeigen in Printmedien verschiedener Musik- szenen. In Techno-Magazinen findet man Selbst- und Partnerdarstellungen wie z.B. Durchgeknallter Raver, flippiger Houseboy, nette verstrahlte Housefrau, Spacebaby. In Medien der Gothic-Szene (Grufties) findet man hingegen die Kategorien einsamer Wanderer, Geschöpf der Nacht, "spooky Kids", schwarzbeseeltes Wesen. Ähnlich geht es in Punk-Fanzines um Pönks, Punkmädels und Punketten, in Hip-Hop-Magazinen um B-Girls, B-Boys, Breaker, Hip-Hop-Freakz. In allen vier Fällen werden Gruppenstile (und Eigenschaften) angegeben, die nur in der jeweiligen Szene gängig sind. Dies gilt genauso für andere Vertextungsmittel dieser Anzeigen, etwa die angeführten Bandnamen, Metaphern, Anspielungen und Wortspiele (z.B. das Wortspiel mit Haus und House in den Techno-Anzeigen. In anderen Worten, jede Szene entwickelt ihre Konventionen für die "Füllung" desselben Textmusters. Derartige Füllungen sind aus Kontaktanzeigen in der "Bravo" und anderen Allerweltsmedien abwesend, die dortigen Angaben, z.B. Boys und verrückte Girls, sind eben jedermann geläufig.

Über diese gruppenspezifische Füllung kommt es in Jugendmedien auch vor, dass eine dem Namen nach konventionelle Textsorte nicht so genutzt wird, wie es die Tradition will, sondern einen Funktionswandel erfährt. Schmidt, Binder & Deppermann (1998) haben dies für klassische Textsorten wie Interview und Leserbrief in Skatermagazinen festgestellt. So wandelt sich der Leserbrief von der Bezugnahme auf einen bestimmten Beitrag hin zur Schilderung persönlicher Erfahrungen. Auch die Skater-Interviews bieten keinen organisierten Dialog mit vorbereiteten Fragen im Interesse der Rezipienten dar, sondern eine weitgehend unstrukturierte Unterhaltung zwischen Gleichgesinnten. Der Reiz solcher Verschiebungen besteht nach den Autoren darin, dass "die Nähe zum Star nicht nur durch die Erzählung biographischer Details hergestellt [wird], sondern darüber hinaus durch die Präsentation seines authentischen Kommunikationsverhaltens. Man erfährt nicht nur Intimes, man erlebt es."

Schließlich finden sich in Jugendmedien auch Beispiele für die kreative Weiterentwicklung von Diskurstraditionen. Es handelt sich um spezialisierte Ausprägungen konventioneller Gattungen, die kommunikativen Bedürfnissen der Jugendkulturen entgegenkommen. Beispiele sind die Scene-Reports (von Rezipienten verfasste Berichte über das Geschehen in ihrer Stadt) und Phone-In-Sendungen, in denen die Anrufer live rappen können. Eine weitere Textsorte, die die Tradition des privaten Fotoalbums erkennen lässt, sind Fotorubriken in Clubzines, die unter Titeln wie schlapp schüsse oder schlaflose & untote Fotos aus der lokalen Partyszene zusammenstellen. Eine Sonderform sind schließlich die "Bootlegs", d.h. verbal-visuelle Abwandlungen von Marken- und Firmenlogos oder anderen Medien (Androutsopoulos 1997b). Bootlegs werden angeeignet, d.h. als eigene Werbetexte oder Titelseiten eingesetzt, oder parodiert und dabei den eigenen Printmedien und Websites als "Schmuckstücke" eingefügt. Welche Vorlagen zu diesem Zweck ausgewählt und wie sie verfremdet werden, sagt etwas über die kulturelle Orientierung der Macher aus.

Sprachgestaltung, Marktstellung und Nachahmung
Einzelne Jugendmedien können sich in zweierlei Hinsicht unterscheiden. Zum Einen gibt es szenenspezifische Gestaltungsformen, worauf ich bereits am Beispiel der Kontaktanzeigen hingewiesen habe. Zum Anderen unterscheidet sich der Freiraum des sprachlichen Ausdrucks nach der Stellung eines Mediums auf dem Markt. Alles weist darauf hin, dass "unabhängige" Medien leitend sind in der Tendenz, den Stil der Gruppenkommunikation auf die Medien zu übertragen. Diese Medien sind weniger professionalisiert, ihre Texte häufig spontaner geschrieben, es wird mehr kritisiert und kein Blatt vor den Mund genommen. Allgemeiner könnte man die Unterscheidung so formulieren: Je spezifischer die angepeilte Zielgruppe und je geringer die Abhängigkeit von der Wirtschaft (z.B. in Form von Konzernwerbung), desto eher ist es möglich, Konventionen massenöffentlicher Kommunikation zu ignorieren oder symbolisch außer Kraft zu setzen. Und umgekehrt, die Anonymität des Messenpublikums und die Beziehungen zur Welt ausserhalb der Jugendkultur diktieren eine sprachliche Gestaltung näher zu dominanten Konventionen medialer Kommunikation.

Diese Unterscheidung ist wichtig im Hinblick auf die Feststellung Nowottnicks (1989), dass für Radiosendungen für Jugendliche ein "bereinigter" Jugendstil typisch ist: "Die mediale Kommunikationssituation ist jedoch dominant gegenüber der Gruppensituation, so dass es zu einer Art 'bereinigtem' Jugendstil in der Moderation kommt." Die vorangehenden Ausführungen machen jedoch deutlich, dass eine derartige "Bereinigung" eine Funktion der Marktstellung ist, nicht der medialen Kommunikation an sich. Das bedeutet auch, dass jugendliche und jugendgerichtete Stimmen in der Öffentlichkeit je nach Marktbereich sehr unterschiedlich sein können, was sich insbesondere beim Vergleich zwischen der Massenkommunikation des Rundfunks und den gruppenspezifischen Nischen in Printmedien und im Internet bemerkbar macht. Medien kleinerer Reichweite die näher zu den Rezipienten stehen, sind am ehesten in der Lage, eine Gruppensituation in der medialen Kommunikation herzustellen. Allerdings kommt es immer häufiger vor, dass auch im Rundfunk Nischen des spontanen, unzensierten gruppenspezifischen Ausdrucks entstehen, z.B. in szenenspezifischen Sendungen.

Neue Jugendangebote greifen markttypische Sprach- und Textmittel auf, um sich ein angemessenes "Gesicht" zu verleihen. Ein gutes Beispiel hierfür sind die 1998er Werbekampagnen der neuen öffentlich-rechtlichen Jugendradiosender, die mit Slogans wie Dudel, dudel (Planet Radio) und kommt fett (xxl). entschieden auf Jugendsprache setzten. Eine einschlägige Berichterstattung lautete: "Sie finden die Dinge "geil", "fett" oder "scheisse", und sie rotzen auf alles, was etabliert daherkommt: "Eure Eltern werden kotzen". Es sind Deutschlands ganz junge Radios." (Weiland 1999). Solche Slogans haben einen Innovationswert nicht im Kontext der Jugendmedien schlechthin, sondern im Kontext öffentlicher Werbekommunikation für das Medium Radio. Was lange Zeit auf Ingroup-Medien eingeschränkt war (Hess-Lüttich 1983), entdeckten irgendwann auch Medienkonzerne für sich. Ähnliches gilt für Institutionen aus der Wirtschaft, Politik und Verwaltung, die Jugendliche ansprechen bzw. im Feld der Jugendkulturen "mitspielen" wollen, von der Kundenzeitschrift bis zur Regierungskampagne. Ein aktuelles Beispiel ist ein an Kids & Teens gerichteter Internet-Auftritt der Polizei, der in der Startseite als cool und lässig umgesetzt beschrieben wird.* Alles gecheckt? fragen die Kommunikatoren und loben daraufhin ihre Präsentation: Wir meinen: ganz schön Hype – die Sache. Ob ein solcher Stil tatsächlich gut ankommt, sei dahingestellt. Tatsache ist aber, dass solche Fälle erst recht die sprachlichen Konventionen des Jugendmedien-Marktes sichtbar machen. Wer sich jugendlichen Rezipienten gegenüber als modern, alltagsnah usw. positionieren will, greift mehr oder minder auf sprech- und jugendsprachliche Formulierungen, griffige Titel, Experimente mit Begleitexten und Verfremdung von Textmustern zurück.

Tendenzen der Sprach- und Textgestaltung in Jugendmedien sind nicht losgelöst von übergreifenden Entwicklungen in der Medienkommunikation, sondern ein Teil davon. Eine zunehmende Informalität, Normauflockerung und Umgangssprachlichkeit wird für die massenmediale Kommunikation schlechthin konstatiert. Mir scheint es allerdings, dass Jugendmedien in diesem Zusammenhang sehr wohl eine gewisse Vorreiterrolle innehaben, und das aus verschiedenen Gründen: Weil sie frei sind von Ansprüchen der Ernsthaftigkeit und Intellektualität, weil die Lebensphase Jugend einen spontanen, expressiven, unkonventionellen Ausdruck überhaupt fördert, weil in Jugendredaktionen die besseren Ideen entstehen und Freiraum zur Umsetzung finden, und sicherlich nicht zuletzt deshalb, weil Jugendlichkeit bekanntlich anzieht. So ist es naheliegend, dass Tendenzen und Konventionen dieses Marktes auch auf andere Bereiche des Mediensystems verbreitet, also auch in gesamtgesellschaftlichen Medien eingesetzt werden.
 

Zitierte Literatur

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  • Androutsopoulos, Jannis K. (1999). "Die Plattenkritik: eine empirische Textsortenanalyse". In: Neumann, Jens (Hg.) Fanzines 2, 89-212. Mainz.
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  • Weiland, Harry (1999). "Frech, derb und laut". In: Werben & Verkaufen 2, 102-3.

Dr. Jannis K. Androutsopoulos ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Deutsche Sprache Mannheim. Der Beitrag fasst Ergebnisse eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Postdoc-Projektes über "Medienkommunikation in der Jugendkultur" zusammen. [zu Jannis' Homepage]